Das Dekameron
ein Edelmann aus der Gesellschaft: »Madonna Oretta, beliebt es Euch, so will ich Euch einen großen Teil des Weges, den wir noch vor uns haben, durch eine wunderschöne Geschichte so sehr verkürzen, daß Ihr glauben sollt, Ihr säßet zu Pferde.« Darauf antwortete die Dame:
»Nicht nur beliebt es mir, ich bitte Euch sogar darum, und es soll mir höchst willkommen sein.«
Der Herr Ritter, der seinen Degen im Streit wohl auch nicht besser zu führen wußte als zum Erzählen seine Zunge, fing nach dieser Erlaubnis eine Geschichte an, die in der Tat an sich gar schön war, die er aber jämmerlich verdarb, da er bald das gleiche Wort vier- und fünfmal wiederholte, bald auf das schon Gesagte zurückkam, bald sich mit dem Ausruf: »Nein, das hab ich falsch erzählt!« unterbrach, bald endlich die Namen falsch sagte oder untereinander verwechselte, ganz zu schweigen, daß seine Worte weder dem Charakter der Personen noch den erzählten Ereignissen irgend entsprachen.
Der Madonna Oretta brach über diesem Erzählen der Angstschweiß aus, und es wurde ihr beklommen ums Herz, als wäre sie krank. Endlich aber konnte sie es nicht mehr aushalten, und da sie gewahr wurde, daß der Edelmann in die Tinte geraten war und nicht wieder herausfand, sagte sie scherzhaft: »Messer, Euer Pferd hat einen harten Trab. Drum bitt ich Euch, laßt mich wieder absteigen.« Der Edelmann, der zum Glück geschickter im Verstehen als im Erzählen war, fühlte den Stachel und kehrte ihn zu Scherz und Heiterkeit. Dann aber wendete er sich ändern Geschichten zu und ließ die eine, die er begonnen und schlecht ausgeführt hatte, unbeendigt.
Zweite Geschichte
Cisti, der Bäcker, bringt durch eine beißende Antwort Messer Geri Spina wegen eines unbescheidenen Begehrens zur Einsicht.
Die Mädchen und Jünglinge erteilten dem Einfall der Madonna Oretta großes Lob. Die Königin aber gebot Pampinea in gleicher Weise fortzufahren, worauf diese also begann:
Ich für mein Teil wüßte nicht zu entscheiden, ihr schönen Mädchen, wen von beiden größerer Tadel trifft, ob die Natur, wenn sie einer edlen Seele einen mißgestalteten Körper verleiht, oder Fortuna, wenn sie einem Körper, in dem eine edle Seele wohnt, ein niedriges Gewerbe zuweist, was wir an unserem Mitbürger Cisti und an manchen anderen haben wahrnehmen können.
Obgleich nämlich Cisti mit einem hohen Sinne begabt war, hatte Fortuna ihn doch nur zum Bäcker gemacht. In der Tat verwünschte ich deshalb Natur und Fortuna zugleich, wüßte ich nicht, daß die Natur in allen Dingen verständig ist, und Fortuna, wenngleich die Törichten sie blind darzustellen pflegen, dennoch tausend Augen hat. So glaube ich denn, daß beide in jenem Falle sehr weise zu Werke gehen, wie selbst Sterbliche, wenn sie Ungewißheit der Zukunft ahnen und ihre wertvollsten Dinge zu besserer Sicherheit an den unscheinbarsten Orten ihres Hauses als den unverdächtigsten vergraben, um sie bei dringendem Bedürfnis hervorzuholen - in welchem Fall jener verachtete Ort besser zur Verwahrung diente, als das schönste Gemach es getan hätte; ebenso verbergen die zwei Dienerinnen der Welt häufig ihre wertvollsten Gegenstände unter dem Schatten der wenig geachteten Gewerbe, damit ihr Glanz um so leuchtender erscheine, wenn jene sie im Notfall hervorholen. Wie Cisti, der Bäcker, dies in einer geringfügigen Sache dargetan und Herrn Geri Spina die Augen vernünftiger Einsicht eröffnet hat, gedenke ich euch in einem Geschichtchen zu erzählen, das mir bei dem eben über Madonna Oretta mitgeteilten in den Sinn kam, weil Madonna Oretta die Gemahlin jenes Geri war.
Ich sage also, daß Papst Bonifaz gewisser wichtiger Angelegenheiten wegen einige Edelleute als seine Gesandten nach Florenz geschickt hatte und diese im Hause des Messer Geri Spina, der beim Papst in sehr hohem Ansehen stand, abstiegen und mit ihm über die Geschäfte ihres Auftraggebers verhandelten. Dabei geschah es aus irgendeinem Grunde, daß Messer Geri und die Abgesandten des Papstes fast jeden Morgen zu Fuß an der Kirche Santa Maria Ughi vorüberkamen, neben der Cisti, der Bäcker, seine Backstube hatte und in eigener Person seinem Handwerk oblag.
Obgleich nun Fortuna diesem Manne ein gar bescheidenes Gewerbe beschieden hatte, war sie ihm doch gewogen gewesen, so daß er mehr als reich geworden war und deshalb, ohne sein Geschäft gegen irgendein anderes vertauschen zu wollen, mit ziemlichem Aufwand lebte. Besonders aber führte er
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