Das doppelte Lottchen
Kinderoper komponieren!
Es ist zum Teufelhaschen! Es ist nicht zum Ansehen, wenn so einem kleinen Geschöpf Tränen in den Augen stehen! Sie hingen in den langen Wimpern wie Tautropfen an dünnen Grashalmen…
Seine Hände schlagen einige Töne an. Er neigt lauschend den Kopf. Er spielt die Tonfolge noch einmal. Er wiederholt sie in der Sequenz. Es ist die Variation eines fröhlichen Kinderliedes aus seiner Oper. Er ändert den Rhythmus. Er arbeitet.
Wozu doch Kindertränen gut sind! Ja, so ein Künstler ist fein heraus! Gleich wird er Notenpapier nehmen und Noten malen. Und zum Schluß wird er sich hochbefriedigt zurücklehnen und die Hände reiben, weil ihm ein so wunderbar trauriges Lied in c-Moll gelungen ist. (Ist denn weit und breit kein Riese oder sonst jemand da, der ihm ab und zu die Hosen straff zieht?) Wieder sind Wochen vergangen. Fräulein Irene Gerlach hat den Auftritt im Atelier nicht vergessen. Sie hat den Vorschlag des Kindes, der Vater möge die Wohnung am Ring mit der des Malers Gabele tauschen, als das aufgefaßt, was es war: als Kampfansage!
Eine richtige Frau – und Irene Gerlach ist, auch wenn Lotte sie nicht leiden mag, eine richtige Frau –, die läßt sich nicht lange bitten. Sie weiß sich zu gebrauchen. Sie ist sich ihrer Wirkung bewußt. Alle ihre Pfeile hat sie auf die zuckende Zielscheibe, das Künstlerherz des Kapellmeisters, abgeschossen. Alle Pfeile haben ins Schwarze getroffen. Allesamt sitzen sie nun mit ihren Widerhaken im Herzen des Mannes, des geliebten Feindes, fest. Er weiß sich keinen Rat mehr.
»Ich will, daß du meine Frau wirst«, sagt er. Es klingt wie ein zorniger Befehl.
Sie streichelt sein Haar, lächelt und meint spöttisch: »Dann werde ich morgen mein bestes Kleid anziehen, Liebling, und bei deiner Tochter um deine Hand anhalten.«
Wieder sitzt ein Pfeil in seinem Herzen. Und diesmal ist der Pfeil vergiftet.
Herr Gabele zeichnet Lotte. Plötzlich läßt er Block und Bleistift sinken und sagt: »Was hast denn heut, Luiserl? Du schaust ja aus wie sechs Tag’ Regenwetter!«
Das Kind atmet schwer, als läge ihm ein Fuder Steine auf der Brust. »Ach, es ist nichts weiter.«
»Hängt’s mit der Schule zusammen?«
Sie schüttelt den Kopf. »Das wäre nicht so schlimm.«
Herr Gabele legt den Block weg. »Weißt was, du kleine Trauerweide? Wir wollen für heute Schluß machen!« Er steht auf.
»Geh ein Stück spazieren. Das bringt einen auf andere Gedanken!«
»Oder vielleicht spiel’ ich ein bißchen auf dem Klavier?«
»Noch besser!« sagt er. »Das hör ich durch die Wand. Da hab’ ich auch was davon.«
Sie gibt ihm die Hand, knickst und geht.
Er schaut gedankenvoll hinter der kleinen Person her. Er weiß, wie schwer Kummer auf ein Kinderherz drücken kann. Er war selber einmal ein Kind und hat es, im Gegensatz zu den meisten Erwachsenen, nicht vergessen.
Als Klaviergeklimper aus der Nachbarwohnung herüberklingt, nickt er zustimmend und pfeift die Melodie mit.
Dann zieht er mit einem Ruck die Decke von der Staffelei, nimmt Palette und Pinsel zur Hand, betrachtet seine Arbeit mit zusammengekniffenen Augen und geht ans Werk.
Herr Ludwig Palffy kommt in die Rotenturmstraße. Die Stufen tun, als wären sie doppelt so hoch wie sonst. Er hängt den Mantel und den Hut an einen Garderobenhaken. Das Luiserl spielt Klavier?
Nun, sie wird abbrechen und ihm eine Weile zuhören müssen. Er zieht das Jackett straff, als ob er beim Intendanten einen Besuch machte. Dann öffnet er die Zimmertür.
Das Kind schaut von den Tasten auf und lächelt ihn an. »Vati! Wie schön!« Sie springt vom Klavierschemel. »Soll ich dir einen Kaffee machen?« Sie will geschäftig in die Küche.
Er hält sie fest. »Danke, nein!« sagt er. »Ich muß mit dir sprechen. Setz dich!«
Sie setzt sich in den großen Ohrensessel, in dem sie klein wie eine Puppe aussieht, streicht sich den karierten Rock glatt und blickt erwartungsvoll in Vatis Gesicht.
Er räuspert sich nervös, geht ein paar Schritte auf und ab und bleibt schließlich vor dem Ohrensessel stehen. »Also, Luiserl«, fängt er an, »es handelt sich um eine wichtige und ernste Angelegenheit.
Seit deine Mutter nicht mehr – nicht mehr da ist, bin ich allein gewesen. Sieben Jahre lang. Natürlich nicht völlig allein, ich hab’ ja dich gehabt. Und ich hab’ dich ja noch!«
Das Kind schaut ihn mit großen Augen an.
›Wie blöd ich red’!‹ denkt der Mann. Er hat eine ausgewachsene Wut auf sich. »Kurz und
Weitere Kostenlose Bücher