Das doppelte Lottchen
Kinderopern reden und über Fräulein Gerlach schweigen – sie wittern wie kleine Tiere, woher Gefahr droht.
Lotte tritt, in der Rotenturmstraße, aus der Wohnung und klingelt an der gegenüberliegenden Tür. Dahinter haust ein Maler namens Gabele, ein netter, freundlicher Herr, der Lotte gern einmal zeichnen möchte, wenn sie Zeit hat.
Herr Gabele öffnet. »Oh, die Luise!«
»Heute hab’ ich Zeit«, sagt sie.
»Einen Augenblick«, ruft er, rast in sein Arbeitszimmer, nimmt ein großes Tuch vom Sofa und verhängt damit ein auf der Staffelei stehendes Bild. Er malt gerade an einer klassischen Szene aus der Antike. Dergleichen eignet sich nicht immer für Kinder.
Dann führt er die Kleine hinein, setzt sie in einen Sessel, nimmt einen Block und beginnt zu skizzieren. »Du spielst ja gar nicht mehr so oft Klavier!« meint er dabei.
»Hat es Sie sehr gestört?«
»Kein Gedanke! Im Gegenteil! Es fehlt mir geradezu!«
»Vati hat nicht mehr so viel Zeit«, sagt sie ernst. »Er komponiert an einer Oper. Es wird eine Kinderoper.«
Das freut Herrn Gabele zu hören. Dann wird er ärgerlich. »Diese Fenster!« schimpft er. »Rein gar nix kann man sehen. Ein Atelier müßte man haben!«
»Warum mieten Sie sich denn keines, Herr Gabele?«
»Weil’s keine zu mieten gibt! Ateliers sind selten!«
Nach einer Pause sagt das Kind: »Vati hat ein Atelier. Mit großen Fenstern. Und Licht von oben.«
Herr Gabele brummt.
»Am Kärntner Ring«, ergänzt Lotte. Und nach einer neuen Pause: »Zum Komponieren braucht man doch gar nicht so viel Licht wie zum Malen, nicht?«
»Nein«, antwortet Herr Gabele.
Lotte tastet sich nun noch einen Schritt weiter vor. Sie sagt nachdenklich: »Eigentlich könnte doch Vati mit Ihnen tauschen!
Dann hätten Sie größere Fenster und mehr Licht zum Malen. Und Vati hätte seine Wohnung zum Komponieren hier, gleich neben der anderen Wohnung!« Der Gedanke freut sie offensichtlich. »Wäre das nicht praktisch?«
Herr Gabele könnte allerlei gegen Lottes Gedankengänge einwenden. Weil das aber nicht angeht, erklärt er lächelnd: »Das wäre in der Tat sehr praktisch. Es fragt sich nur, ob der Papa der gleichen Meinung ist.«
Lotte nickt. »Ich werd’ ihn fragen! Gleich nachher!«
Herr Palffy sitzt in seinem Atelier und hat Besuch.
Damenbesuch. Fräulein Irene Gerlach hat »zufällig« ganz in der Nähe Besorgungen machen müssen, und da hat sie sich gedacht:
»Springst einmal g’schwind zum Ludwig hinauf, gelt?«
Der Ludwig hat die Partiturseiten, an denen er kritzelt, beiseite geschoben und plauscht mit der Irene. Erst ärgert er sich ein Weilchen, denn er kann es für den Tod nicht leiden, wenn man ihn unangemeldet überfällt und bei der Arbeit stört. Aber allmählich siegt doch das Wohlbehagen, mit dieser so schönen Dame beisammenzusitzen und halb aus Versehen ihre Hand zu streicheln.
Irene Gerlach weiß, was sie will. Sie will Herrn Palffy heiraten.
Er ist berühmt. Er gefällt ihr. Sie gefällt ihm. Allzu große Schwierigkeiten stehen also nicht im Wege. Zwar weiß er noch nichts von seinem künftigen Glück. Aber sie wird es ihm mit der Zeit und schonend beibringen. Schließlich wird er sich einbilden, daß er selber auf die Idee mit der Heirat verfallen sei.
Ein Hindernis ist allerdings noch da: das narrische Kind! Aber wenn Irene dem Ludwig erst ein, zwei Babys geschenkt hat, dann wird sich alles wunschgemäß einrenken. Irene Gerlach wird doch wohl noch mit diesem ernsten, scheuen Fratz fertig werden!
Es klingelt.
Ludwig öffnet.
Und wer steht in der Tür? Der ernste, scheue Fratz! Hat einen Strauß in der Hand, knickst und sagt: »Grüß Gott, Vati! Ich bring’
dir frische Blumen!« Dann spaziert sie ins Atelier, knickst kurz vor dem Besuch, nimmt eine Vase und verschwindet in der Küche.
Irene lächelt maliziös. »Wenn man dich und deine Tochter sieht, hat man den Eindruck, daß du unter dem Pantoffel stehst.«
Der Herr Kapellmeister lacht verlegen. »Sie hat neuerdings eine so dezidierte Art zu handeln, und außerdem ist das, was sie tut, so goldrichtig – da kannst nix machen!«
Während Fräulein Gerlach mit den schönen Schultern zuckt, erscheint Lotte wieder auf der Bildfläche. Erst stellt sie die frischen Blumen auf den Tisch. Dann bringt sie Geschirr herbei und sagt, indessen sie die Tassen verteilt, zu Vati: »Ich koch’ nur rasch einen Kaffee. Wir müssen doch deinem Besuch etwas anbieten.«
Vati und sein Besuch schauen perplex hinter ihr drein.
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