0726 - Halias Höllenreiter
Kalis Blutpalast
Die Todesgöttin residierte in einer furchtbaren Welt.
Der Boden bestand aus riesigen Giftschlangen, die sich ständig gegenseitig fraßen und wieder aufs Neue entstanden.
Die Wände ihres Palastes waren aus den Totenschädeln von Menschen und menschenähnlichen Wesen aus längst vergangenen Epochen aufeinander geschichtet.
Denn Kali war so alt wie die Welt. Vielleicht sogar noch älter…
Die Todesgöttin erschien in ihrer geläufigen Form, als wunderschöne nackte Frau mit schwarzer Haut, üppigen Brüsten, langen Beinen und runden Hüften.
Wie üblich tanzte sie auf dem Leichnam ihres Gatten Shiva, dessen Kopf sie abgeschlagen hatte.
Aus ihren funkelnden, vor Hass sprühenden Augen tropfte Menschenblut. Eine lange Zunge hing zwischen ihren sinnlichen Lippen herunter. Totenschädel waren mit Bändern um ihren Körper drapiert. Die Schlangen, ihre treuen Begleiter, wanden sich auch um ihren Hals.
Und in jeder ihrer zehn Hände hielt Kali eine tödliche Waffe!
Halia sah nicht ganz so beeindruckend aus. Die Dämonin manifestierte sich für die Augen der lebenden Menschen als verführerische Tempeltänzerin in durchsichtigen Seidengewändern und mit blauschwarzem Haar, das bis zum Po reichte. In ihrem bildschönen Gesicht erregte der sinnliche Mund sofort Aufmerksamkeit. Er war so leuchtend rot wie der Sand am Ufer des Geisterflusses Dhaibya.
Doch ihre Ausstrahlung war ebenfalls absolut böse. Da stand sie Kali in nichts nach.
»Halia, du bist eine Närrin!«
Wie das Donnern eines Vulkanausbruchs hallte Kalis Stimme durch ihren Blutpalast. Halia beugte sich vor. Unterwürfig berührte sie nun auch noch mit ihrer Stirn die zuckenden Schlangenleiber unter ihr.
Nur Katzbuckelei konnte die Dämonin jetzt noch retten. Wenn überhaupt. Die Grausamkeit der Todesgöttin war sprichwörtlich. Im ewigen kosmischen Zyklus von Entstehen und Vergehen war Kali für die Zerstörung zuständig.
Und diese Aufgabe nahm sie sehr ernst…
»Was habe ich getan, großmächtige Kali?«
»Das weißt du genau! Du nichtswürdige Kreatur hast einen Sendboten von Hanuman getötet. Mit dem Erfolg, dass der Affengott nun gewarnt ist. Aber du musstest ja seinen Vasallen unbedingt niedermetzeln. Das musstest du doch, nicht wahr?«
Kalis Stimme triefte vor Hohn.
Halia dachte kurz über die Worte der Todesgöttin nach. Zitternd wurde ihr klar, dass Kali Recht hatte.
Sie, Halia, hatte wirklich einem Affenkrieger das Lebenslicht ausgelöscht. Allerdings hatte die Dämonin nicht gewusst, das ihr Opfer ein Sendbote des riesigen und einflussreichen Affengottes Hanuman war.
Aus purem Spaß an der Grausamkeit war Hanumans Vasall von Halias Dämonenschwert enthauptet worden.
Niemals hätte sich die Dämonin träumen lassen, dass sie durch ihre ruchlose Tat den Zorn Kalis auf sich ziehen würde.
Ganz im Gegenteil. Jede Bluttat fand üblicherweise die Zustimmung der Todesgöttin. Je brutaler und rücksichtsloser, desto besser.
Kali stieß nun einen ihrer Arme vor, der eine Eisenkeule hielt. Damit versetzte sie der demütig vor ihr hockenden Dämonin einen schmerzhaften Schlag.
»Antworte, wenn ich dich etwas frage!«
Halia hatte nicht geglaubt, dass Kali wirklich hören wollte, was sie dachte. Abgesehen davon, dass die Todesgöttin gewiss ihre Gedanken lesen konnte.
Doch jetzt musste sie etwas erwidern, wenn sie ihre Lage nicht noch verschlimmern wollte.
»Ich - ich wusste nicht, dass ich dich damit verärgere, großmächtige Kali…«
»Verärgern? Du hast meine sorgfältig geschmiedeten Pläne gegen Hanuman durch deine idiotische Tat zerstört! Auf unabsehbare Zeit wird der Affengott gewarnt sein!«
Halia seufzte innerlich. Die Dämonin war, ohne es zu wollen, eine Figur auf dem Spielbrett der guten und bösen Götter des indischen Pantheons geworden.
Seit anfangsloser Zeit bekämpften sich Götter, Halbgötter, Dämonen, Riesen und andere überirdische Wesen Indiens gegenseitig. Sie schlossen Bündnisse, nahmen einander gefangen oder tricksten sich gegenseitig aus.
Momentan hatte Kali es offenbar auf Hanuman abgesehen, den riesenhaften Gott der Affenkrieger.
Halia, die als Dämonin der Todesgöttin Tribut schuldete, hatte die Pläne ihrer Herrin durchkreuzt. Zwar war das unwissentlich geschehen - doch Kali würde sie trotzdem grausam bestrafen…
Halia flehte um Gnade.
»Bitte vernichte mich nicht, Herrin des Todes! Gib deiner treuesten Dienerin eine Chance, die Scharte wieder auszuwetzen!«
»Ich soll dich
Weitere Kostenlose Bücher