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Das doppelte Lottchen

Das doppelte Lottchen

Titel: Das doppelte Lottchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Kästner
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Mutter nickt und schaut starr vor sich hin.
    »Nehmen Sie mir meine Offenheit nicht übel«, meint Fräulein Linnekogel, »ich war nie verheiratet, ich bin Erzieherin und habe keine Kinder – aber ich meine immer: Die Frauen, die wirklichen, verheirateten, nehmen ihre Männer zu wichtig. Dabei ist nur eines wesentlich: das Glück der Kinder!«
    Frau Körner lächelt schmerzlich. »Glauben Sie, daß meine Kinder in einer langen, unglücklichen Ehe glücklicher geworden wären?«
    Fräulein Linnekogel sagt nachdenklich: »Ich mache Ihnen keinen Vorwurf. Sie sind noch heute sehr jung. Sie waren, als Sie heirateten, ein halbes Kind. Sie werden Ihr Leben lang jünger sein, als ich jemals gewesen bin. Was für den einen richtig wäre, kann für den anderen falsch sein.«
    Der Besuch steht auf.
    »Und was werden Sie tun?«
    »Wenn ich das wüßte!« sagt die junge Frau.
    Luise steht vor einem Münchner Postschalter. »Nein«, sagt der Beamte für die postlagernden Sendungen bedauernd. »Nein, Fräulein Vergißmeinnicht, heut hätten wir wieder nix.«
    Luise blickt ihn unschlüssig an. »Was kann das nur bedeuten?« murmelt sie bedrückt.
    Der Beamte versucht zu scherzen. »Vielleicht ist aus dem Vergißmeinnicht ein ›Vergißmich‹ geworden?«
    »Das ganz gewiß nicht«, sagt sie in sich gekehrt. »Ich frag’ morgen wieder nach.«
    »Wenn ich darum bitten darf«, erwidert er lächelnd.
    Frau Körner kommt heim. Brennende Neugier und kalte Angst streiten in ihrem Herzen, daß es ihr fast den Atem nimmt.
    Das Kind hantiert eifrig in der Küche. Topfdeckel klappern. Im Tiegel schmort es.
    »Heute riecht’s aber gut!« sagt die Mutter. »Was gibt’s denn, hm?«
    »Schweinsripperln mit Sauerkraut und Salzkartoffeln«, ruft die Tochter stolz.
    »Wie schnell du das Kochen gelernt hast!« sagt die Mutter, scheinbar ganz harmlos.
    »Nicht wahr?« antwortet die Kleine fröhlich. »Ich hätt’ nie gedacht, daß ich…« Sie bricht entsetzt ab und beißt sich auf die Lippen. Jetzt nur die Mutter nicht ansehen!
    Diese lehnt an der Tür und ist bleich. Bleich wie die Wand.
    Das Kind steht am offenen Küchenspind und hebt Geschirr heraus. Die Teller klappern wie bei einem Erdbeben.
    Da öffnet die Mutter mühsam den Mund und sagt: »Luise!«
    Krach!
    Die Teller liegen in Scherben auf dem Boden. Luise hat’s herumgerissen. Ihre Augen sind vor Schreck geweitet.
    »Luise!« wiederholt die Frau sanft und öffnet die Arme weit.
    »Mutti!«
    Das Kind hängt der Mutter wie eine Ertrinkende am Hals und schluchzt leidenschaftlich.
    Die Mutter sinkt in die Knie und streichelt Luise mit zitternden Händen. »Mein Kind, mein liebes Kind!«
    Sie knien zwischen zerbrochenen Tellern. Auf dem Herd verschmoren die Schweinsripperln. Es riecht nach angebranntem Fleisch. Wasser zischt aus den Töpfen in die Gasflammen.
    Die Frau und das kleine Mädchen merken von alledem nichts. Sie sind, wie es manchmal heißt und ganz selten vorkommt, nicht »von dieser Welt«.
    Stunden sind vergangen. Luise hat gebeichtet. Und die Mutter hat die Absolution erteilt. Es war eine lange, wortreiche Beichte, und es war eine kurze, wortlose Freisprechung von allen begangenen Sünden – ein Blick, ein Kuß, mehr war nicht nötig.
    Jetzt sitzen sie auf dem Sofa. Das Kind hat sich eng, ganz eng an die Mutter gekuschelt. Ach, ist das schön, endlich die Wahrheit gesagt zu haben! So leicht ist einem zumute, so federleicht! Man muß sich an der Mutter festklammern, damit man nicht plötzlich davonfliegt!
    »Ihr seid mir schon zwei raffinierte Frauenzimmer!« meint die Mutter.
    Luise kichert vor lauter Stolz. (Ein Geheimnis hat sie allerdings immer noch nicht preisgegeben: daß es da in Wien, wie Lotte ängstlich geschrieben hat, neuerdings ein gewisses Fräulein Gerlach gibt!)
    Die Mutter seufzt.
    Luise schaut sie besorgt an.
    »Nun ja«, sagt die Mutter. »Ich denke darüber nach, was jetzt werden soll! Können wir tun, als sei nichts geschehen?«
    Luise schüttelt entschieden den Kopf. »Lottchen hat sicher großes Heimweh nach dir. Und du doch auch nach ihr, nicht wahr, Mutti?«
    Die Mutter nickt.
    »Und ich ja auch«, gesteht das Kind. »Nach Lottchen und…«
    »Und deinem Vater, gelt?«
    Luise nickt. Eifrig und schüchtern zugleich. »Und wenn ich bloß wüßte, warum Lottchen nicht mehr schreibt?«
    »Ja«, murmelt die Mutter. »Ich bin recht in Sorge.«

ZEHNTES KAPITEL
    Ein Ferngespräch aus München – Das erlösende Wort – Nun kennt sich auch die Resi nicht

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