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Das Dorf der verschwundenen Kinder

Das Dorf der verschwundenen Kinder

Titel: Das Dorf der verschwundenen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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irgend jemanden zusammenscheißen mußte. Es hätte schlimmer kommen können, und du wärst diejenige gewesen, die es abbekommt. Was machst du überhaupt hier? Ist doch nichts passiert, oder?«
    »Denkst du, dann würde ich die Zeit mit diesem Blödsinn vergeuden? Nein, keine Veränderung. Ich mußte nur mal eben aufs Klo, das ist alles. Und jetzt muß ich noch viel dringender.«
    »Laß dir Zeit«, sagte Pascoe. »Ich werde zu Rosie gehen und nachsehen, ob ich nicht eine Schwester zum Zusammenschlagen finde.«
    Sein schwacher Scherz schien sie zu beruhigen, und sie eilte davon. Pascoe sah zur Tür des Wartezimmers und überlegte, ob er mit Derek Frieden schließen sollte. Aber er merkte, daß er dazu noch nicht bereit war, und ging den Korridor hinunter in Rosies Krankenzimmer.
    Eine Schwester überprüfte die Monitore. Sie lächelte ihm freundlich zu, ehe sie den Raum verließ, also sah er vielleicht doch nicht aus wie Mr. Hyde. Er setzte sich und nahm Rosies Hand.
    »Hallo, Rosie. Ich bin’s. Ich habe mich gerade mit Zandras Vater gestritten. Das hättest du nicht gedacht, daß Väter auch streiten, was? Tja, das ist hier draußen auch nicht anders als auf dem Schulhof. Einen Augenblick kümmert man sich um seine eigenen Angelegenheiten, und im nächsten sagt jemand was Blödes, und man erwidert was Blödes, und dann wälzt man sich auf dem Boden und versucht, dem anderen das Ohr abzubeißen. Bei Jungs ist das zumindest so. Ihr Mädchen seid anders. Ihr seid vernünftiger, würde deine Mummy jetzt sagen. Vielleicht greifen Frauen sich aber auch nur nicht körperlich an. Sie rechnen auf andere Weise ab. Sicher, sie sind alle für Frieden, aber manchmal denke ich, daß Frieden für sie nur die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln ist. Das ist ein Erwachsenen-Witz, den du eines Tages verstehen wirst, wenn du eine Frau bist. Das wird nicht mehr allzu lange dauern, mein Schatz. Du wirst irgendeinen rebellischen jungen Mann nach Hause bringen und hoffen, daß deine Alten dich nicht blamieren, indem sie in den Tee sabbern oder das Gebiß rausnehmen, um Himbeerkerne rauszupulen. Rosie, sei nett zu uns. Das ist alles, was die Welt wirklich braucht, um sich weiter zu drehen: Kinder, die nett zu ihren Eltern sind, und Eltern, die nett zu ihren Kindern sind. Das ist für eine Familie das einzige, was wichtig ist, und es ist der einzige weise Rat, den ich an dich weitergebe. Ich hoffe, du kannst ihn hören. Kannst du ihn hören, mein Schatz? Hörst du mir irgendwo tief da drinnen zu?«
    Er beugte sich über das Mädchen und starrte angestrengt auf ihr Gesicht. Er sah keine Regung, kein Zucken der Augenlider. Kein Lebenszeichen.
    Voller Panik drehte er sich zum Monitor. Da war es, ein beständiger Pulsschlag. Er blickte von dem Gerät auf das Gesicht, immer noch zweifelnd. An ihrer Wange zuckte ein Muskel, wie das schwache Flirren einer Brise auf einem Sommerteich. Er atmete erleichtert aus und merkte jetzt erst, daß er die Luft angehalten hatte.
    Er begann wieder zu reden, aber jetzt klang sein Monolog unsicher und gezwungen, also nahm er »Nina und der Nix« zur Hand und las da weiter, wo er vorher aufgehört hatte.
    »Draußen war die Sonne so hell, daß ein wenig Licht durch den Gang drang. Bei seinem schwachen Schein sah sie, daß sie in einer Höhle saß. Auf dem Boden lagen überall Steine verstreut, und in der Mitte der Höhle war ein kleiner, stinkender Teich, an dessen Ufer ein Ungeheuer saß.
    Sein Körper war lang und schuppig, seine Finger und Zehen hatten lange gebogene Nägel, sein Gesicht war hager und ausgezehrt, seine Nase krumm, sein Kinn spitz mit nadelspitzen Bartstacheln, seine Augen lagen tief in den Höhlen und …«
    Plötzlich ertönte ein elektronischer Piepston, und er starrte eine Sekunde lang in blankem Entsetzen auf den Monitor, bis er erkannte, daß es sein Handy war. Verärgert schaltete er es ein und bellte: »Ja?«
    Es herrschte einen Moment lang Schweigen, so als hätte die Vehemenz seiner Antwort den Anrufer verschreckt. Dann sagte eine Frauenstimme: »Hallo, hier ist Shirley Novello. Ich wollte nur anrufen, um … Ich habe mich gefragt, wie es ihr wohl geht, Ihrer kleinen Tochter?«
    »Keine Veränderung«, sagte Pascoe.
    »Tja, das ist … ich meine, ich bin froh … Ich hoffe, alles wird gut werden, Sir. Tut mir leid, Sie zu stören …«
    »Ist schon gut.« Pascoe entspannte sich ein wenig. »Es ist nett, daß Sie anrufen. Hören Sie, ich sollte das Ding hier nicht

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