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Das Dorf der verschwundenen Kinder

Das Dorf der verschwundenen Kinder

Titel: Das Dorf der verschwundenen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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im Gehsteig schlüpfen, unser Benny.«
    »Und da hat er sich fünfzehn Jahre lang versteckt?« frotzelte Pascoe.
    »Das bezweifle ich«, erwiderte Dalziel mit besorgniserregender Humorlosigkeit. »Aber er könnte sich eine Woche oder so dort verschanzt und nachts nach etwas Eßbarem gesucht haben. Betsy Allgood, die ihm entwischte, sagte, er hätte halb verhungert ausgesehen. Und durchnäßt. Die Dürrezeit hatte gerade aufgehört, und die Höhlen im Neb standen sicher unter Wasser. Ich hatte immer gehofft, er würde sich irgendwo da unten schlafen legen und ertrunken wieder aufwachen.«
    Das Funkgerät lärmte, bevor Pascoe diesen interessanten Gedanken durchleuchten konnte, und die Zentrale gab eine aktuelle Zusammenfassung des Falles durch.
    Lorraine Dacre, sieben Jahre, war das einzige Kind von Tony Dacre, dreißig, Postfahrer, nicht vorbestraft, und Elsie Dacre, geborene Coe, ebenfalls nicht vorbestraft. Acht Jahre verheiratet, wohnhaft in 7 Liggside, Danby. Lorraine war weder beim Sozialamt noch bei der Fürsorge gemeldet. Die vier Constables der Polizeidienststelle Danby, die Sergeant Clark unterstanden, waren bereits im Einsatz. Drei befanden sich auf dem Berg, um eine erste Suche zu überwachen. Verstärkung war angefordert und werde auf Superintendent Dalziels Kommando hin zur Verfügung stehen. Sergeant Clark werde Superintendent Dalziel im Haus an der Liggside treffen.
    Den Dicken nahm das alles ganz schön mit, stellte Pascoe fest. Sollten tatsächlich alte Schuldgefühle an ihm nagen? Oder war da noch etwas anderes?
    Er brütete über diesem Gedanken, während sie die etwa zwanzig Meilen bis nach Danby zurücklegten. Es war eine schöne Strecke, die sich durch die in Felder zerstückelte Nutzlandschaft der Mid-Yorkshire-Ebene wand. Der Sommer hatte bald seinen Höhepunkt erreicht, die Felder rechts und links der Straße glänzten grün und golden und versprachen eine reiche Ernte. Auf unbewässertem, vernachlässigtem Boden jedoch zeigten dunkle und ockerfarbene Flächen, welchen Tribut die Dürre bereits gefordert hatte. Und vor ihnen, wo die ausladenden Arme der Anhöhen die Täler umschlossen und keine Bewässerungsanlagen, Kanäle, Sprinkler oder Sprühregen die lechzende Erde befeuchteten, waren das Grün der Farne und die Pracht der Heide von der sengenden Sonne aufgesogen worden, hatte sich die gemäßigte Moorlandschaft in tropische Savanne verwandelt.
    »Vor fünfzehn Jahren war es genauso«, unterbrach Dalziel Pascoes Gedanken, als hätte er sie laut ausgesprochen.
    »Sie meinen, die Hitze könnte ein Auslöser sein?« fragte Pascoe skeptisch. »Wir hatten seither aber mehrere heiße Sommer. Wenn man sich Derek Purlingstone anhört, könnte man sogar meinen, die Sahara hätte in den letzten zehn Jahren mehr Regen abbekommen als Mid-Yorkshire.«
    »Aber es war nie so heiß wie jetzt. Und nie so lange«, beharrte Dalziel.
    »Und nur, weil hier eine Dürre ist und Danby das Nachbardorf von Dendale …«
    »Der Ort, in den die meisten Bewohner von Dendale umgesiedelt wurden«, fügte Dalziel hinzu. »Und noch etwas. Ein Zeichen …«
    »Ein Zeichen!« lachte Pascoe. »Lassen Sie mich raten. Der Name Wulfstan im Radio? Ist es das? Mein Gott, Sir, als nächstes hören Sie noch Stimmen aus dem Jenseits!«
    »Noch eine so freche Bemerkung, und Sie hören Stimmen nur noch im Jenseits«, erwiderte Dalziel grimmig. »Wenn ich sage, ein Zeichen, dann meine ich ein Zeichen. Sogar mehrere. Clark rief mich direkt an, weil er wußte, daß es mich interessieren würde. Passen Sie auf. Da ist das erste.«
    Er trat mit solcher Wucht auf die Bremse, daß Pascoe ohne Gurt durch die Windschutzscheibe geflogen wäre.
    »Mein Gott!« japste er.
    Er konnte keinen Grund für diesen plötzlichen Stopp erkennen. Die leere Straße lief unter einer stillgelegten Eisenbahnbrücke hindurch. Er sah fragend zum Dicken hinüber, dessen halb himmelwärts gerichteter Blick eine Art frommer Demutsbekundung andeutete. Doch sein Gesichtsausdruck ließ wenig Frömmigkeit erkennen, und er starrte auch nicht gen Himmel, sondern auf die Brückenmauer.
    Darauf hatte jemand mit leuchtendroter Farbe die Worte BENNY IST WIEDER DA ! gesprüht.
    »Clark meint, das hat jemand letzte Nacht gemacht, bevor die Kleine verschwunden ist«, sagte Dalziel. »In der Stadt gibt’s noch mehr davon. Zufall? Ein dummer Scherz? Vielleicht. Aber die Leute hier, vor allem die aus Dendale, die das sehen und von Lorraine hören, vor allem Leute, die selbst

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