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Das Dorf der verschwundenen Kinder

Das Dorf der verschwundenen Kinder

Titel: Das Dorf der verschwundenen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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Fortschritt in Form eines Forschungs- und Industrieparks am Südrand der Ortschaft das ehemals mittelgroße Dorf zu einer Kleinstadt anwachsen lassen.
    Nicht schön, aber erfolgreich, dachte Pascoe, als sie die Straße zwischen dem Park auf der einen und einem riesigen Supermarkt vor einer Neubau-Wohnsiedlung auf der anderen Seite vorbeifuhren.
    Es bedarf jedoch mehr als den Einmarsch der Moderne, um den englischen Provinzsonntag abzuschaffen, denn der alte Ortskern lag so ruhig da wie ein Pueblo zur Siesta. Selbst die Leute, die draußen vor den drei Pubs saßen und von Dalziel lediglich mit einem schwachen sehnsuchtsvollen Seufzer bedacht wurden, wirkten wie Dornröschens zum Schlaf erstarrte Untertanen.
    Die einzigen Anzeichen von Geschäftigkeit waren nurmehr ein Mann, der wie wild auf einer Schaufensterscheibe herumschrubbte, auf der aller Anstrengung zum Trotz die Worte BENNY IST WIEDER DA ! hartnäckig sichtbar blieben, und ein anderer, der dieselben Worte in schwarzer Schrift von einem Dachgiebel entfernte.
    Keiner der beiden Polizisten sagte etwas, bis sie wieder auf offenem Land waren. Moorlandschaft nun, kein Nutzland mehr.
    »Dieses Liggside liegt am Stadtrand, oder?«
    »Ja. Gleich neben dem Ligg Common. Der Ligg Beck fließt geradewegs ins Tal. Und da hinten ist der Neb.«
    Die Sonne ließ die Szenerie erstrahlen wie ein Urlaubsdia. Das Tal stieg vor ihnen allmählich an, erst Richtung Norden, dann mit einem Schlenker nach Nordosten. Der Neb ragte nach Westen auf. Die Straße, auf der sie fuhren, verlief über den unteren östlichen Ausläufer des Talhangs, und ihre weißen Kehren waren so deutlich zu sehen wie Knochen auf einem Strand.
    »Die nächste links, wenn ich mich recht erinnere«, sagte Dalziel.
    Natürlich erinnerte er sich recht. Sollte Pascoe sich einmal zusammen mit einem Kartographen des Landesvermessungsamts, einem preisgekrönten Orientierungswettkampfteilnehmer und Andy Dalziel inmitten des Mid-Yorkshire-Nebels verirren, so wußte er, wem er folgen würde.
    Liggside bestand aus einer kleinen grauen Häuserreihe mit Bürgersteig. Hausnummer 7 war ohne Schwierigkeiten auszumachen. Ein Polizeiwagen stand davor, ein uniformierter Polizist an der Tür, und zwei kleine Gruppen Schaulustiger hatten sich in dezenter Entfernung (was in Mid-Yorkshire etwa zehn Fuß bedeutete) rechts und links davon postiert.
    Der Constable kam zur Straße, als Dalziel seinen Wagen quer über zwei Parkplätze abstellte, vermutlich, um ihn zu maßregeln, doch zu seinem eigenen Glück erkannte er den Wagenbesitzer noch rechtzeitig und öffnete ihm und seinem Beifahrer diensteifrig die Tür.
    Pascoe stieg aus, streckte sich und sah sich um. Die Häuser waren klein und unscheinbar, aber solide und keineswegs schäbig, und der Erbauer war stolz genug gewesen, das Jahr ihrer Fertigstellung in den Mittelsturz zu schnitzen: 1860. Mahlers Geburtsjahr. Nach Dalziels unerwarteter Reaktion auf die »Kindertotenlieder« fiel ihm der Komponist wieder ein. Er bezweifelte allerdings, daß dieses Ereignis in Danby irgend jemanden interessiert hatte. Welches große Ereignis mochte wohl die Gemüter der ersten Bewohner von Liggside bewegt haben? Der amerikanische Bürgerkrieg? Nein, der war 1861 gewesen. Die Besetzung Siziliens durch Garibaldis Rothemden? Vermutlich dachten die meisten hier beim Namen des Italieners eher an ein Nudelgericht. Oder war es arrogant und elitär, so zu denken?
    Ihm war sehr wohl bewußt, daß seine geistigen Streifzüge ein Versuch waren, den quälenden Schmerz und die panische Angst von sich fernzuhalten, die hinter dieser mattbraunen Tür mit ihrem Briefkasten aus Messing und ihrer abgetretenen Schwelle warteten. Wenn es um ein vermißtes Kind ging, waren die Eltern diesen Gefühlen unwiderruflich ausgeliefert, und nicht einmal Wut konnte sie verdrängen.
    Der Constable öffnete die Haustür und rief leise. Einen Augenblick später tauchte ein Sergeant in Uniform auf, in dem Pascoe den Leiter der Polizeiwache Danby wiedererkannte: Nobby Clark. Der sagte nichts, sondern schüttelte nur den Kopf, um anzuzeigen, daß die Situation noch immer unverändert war. Dalziel schob sich an ihm vorbei, und Pascoe folgte.
    Das kleine Wohnzimmer war voller Leute, alles Frauen, doch konnte man die Mutter des vermißten Kindes unschwer an ihrem blassen Gesicht erkennen. Sie saß in fast embryonaler Haltung am Rand des weißen Kunstledersofas und schien der versuchten Umarmung einer großen blonden Frau, deren

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