Das Dorf der verschwundenen Kinder
getätigt hatte. Was nicht weiter riskant war, da Polizisten keine Gratifikationen bekamen.
Wulfstan, der vorher bereits blaß gewesen war, wurde totenbleich, als er schließlich das Ausmaß dieser Anschuldigung begriff. Interessanterweise ging er dann nicht auf Dalziel, sondern auf Novello los.
»Sie dumme, einfältige Pute«, raunte er. »Sie sind ja krank! Was wissen Sie denn überhaupt?«
Sie erhob sich.
»Ich weiß, daß Sie ein Mädchen getötet haben«, gab sie zurück. »Jetzt will ich nur herausfinden, ob es das erste war.«
Sie stand, er saß, und dennoch glich es einer Szenerie wie David gegen Goliath, als er sich mit vor Wut verzerrtem Gesicht auf seinem Stuhl vorlehnte. Jetzt sieht er dem Nix aber mächtig ähnlich, dachte Pascoe und bereitete sich auf sein Einschreiten vor.
»Kümmere dich nicht um sie, Walter. Jeder Pißkopp hier weiß, daß sie’n Haufen Hühnerkacke redet. Das heißt, jeder außer ihr.«
Sprechweise und Akzent hätten von Dalziel stammen können, doch die Stimme gehörte Elizabeth Wulfstan.
Sie faßte Wulfstan am Arm, und er entspannte sich. Dann wandte sie sich Dalziel zu und ließ Novello vollkommen links liegen, was einer direkt vor der Nase zugeschlagenen Tür gleichkam. »Sie da, Mr. Fettbrocken, Sie wissen, daß es Hühnerkacke ist. Walter hat Ihnen gesagt, was mit dem armen Mädchen passiert ist. Ist zwar schrecklich, aber es war ’n Unfall. Also, warum rufen Sie nicht seinen Anwalt an, wir gehn alle aufs Revier, Sie nehmen seine Aussage auf, und das war’s? Ich meine, das ist doch reine Zeitverschwendung hier. Ich hab keine Eidesbelehrung gehört, ich sehe keine Tonbänder. Morgen früh fahr ich nach Italien und würd davor gern ausgiebig schlafen.«
Dalziel sah sie an, lächelte, schüttelte den Kopf und murmelte: »Die kleine Betsy Allgood. Wer hätte das gedacht? Die kleine Betsy Allgood ist ein Star geworden.«
Sie kratzte sich den kahlen Kopf und sagte: »Nee, Andy, ich hab noch ’nen weiten Weg vor mir.«
»Klar, aber Sie werden’s schaffen, Herzchen«, entgegnete er. »Sie sind so weit gekommen – was sollte Sie jetzt noch aufhalten?«
»Sie vielleicht, wenn Sie uns die ganze verdammte Nacht hierbehalten«, gab sie zurück.
»Nee, Sie können jederzeit gehn, Betsy. Was hält Sie hier noch? Sie haben getan, was Sie tun wollten. Zurückkommen. Die Lieder singen. Frieden machen. Aber bevor Sie wieder verschwinden, gibt es noch eine kleine Sache, bei der Sie uns helfen könnten.«
Er hob erwartungsvoll die Hand. Wield, mit der beinahe telepathischen Gabe, sein Stichwort rechtzeitig zu erahnen – was in Dalziels Gefolge überlebensnotwendig war –, zog aus dem Stapel an Schriftstücken, den er in Händen hielt, die handbeschriebenen blauen Briefbögen heraus.
Reaktionen: Wulfstan gleichgültig, kaum bei der Sache; Krog scheinbar ahnungslos, mit aufgesetzter Unschuldsmiene; Elizabeth nachdenklich, mit einem Blick in die Runde, als wollte sie herausfinden, wie die Bögen in Dalziels Hände gekommen waren; Chloe verharrte unbeteiligt, mit zurückgelegtem Kopf und geschlossenen Augen, in der Pose, die sie seit ihrem schwachen Protest gegen die immense Anschuldigung eingenommen hatte; und Inger Sandel auf ihrem Klavierschemel schien wie immer mehr an der Tastatur als an der Unterhaltung interessiert zu sein …
»So wie’s aussieht, haben Sie sich später gedacht, daß Sie alles ’n bißchen durcheinandergekriegt hatten, was auf der Suche nach Ihrer Katze passiert ist«, sagte Dalziel. »Es wär doch schön, das alles jetzt mal klarzustellen.«
»Ich dachte, nach dem, was wir grad gehört haben, ist alles so klar, wie Sie sich’s nur wünschen können«, meinte Elizabeth.
»Es wär schön, das Vögelchen selbst singen zu hören.«
Sie schenkte ihm eines ihrer seltenen Lächeln.
»Dachten Sie das auch bei meinem Konzert?«
»Ich denke, daß Sie gehofft hatten, mit Ihrem Konzert die Dinge hier für sich abzuschließen«, erwiderte Dalziel. »Das war’s doch, was dahintersteckte, oder? Zurückkommen, es loswerden und schnell mit dem Rest Ihres Lebens weitermachen? Aber mit der Vergangenheit ist es wie mit Menschen, Herzchen. Sie müssen ordentlich begraben werden, sonst spuken sie einem ewig hinterher. Benny ist jetzt wirklich wieder da, und wir können ihm einen würdigen Abschied geben. Aber was ist mit den anderen? Glauben Sie, ein paar traurige deutsche Liedchen in einer umfunktionierten Kapelle reichen aus? Ich glaube nicht. Fragen Sie die
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