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Das Dorf der verschwundenen Kinder

Das Dorf der verschwundenen Kinder

Titel: Das Dorf der verschwundenen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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Walter sprechen, Mr. Dalziel? Er ist da, aber mitten in einer Besprechung wegen des Festivals. Sie müssen einen neuen Saal für das Eröffnungskonzert finden … aber das wissen Sie natürlich. Es ist sehr unhöflich von mir, Sie hier auf der Türschwelle stehen zu lassen. Kommen Sie doch herein. Ich werde ihm sagen, daß Sie hier sind.«
    Dalziel trat ins Haus. Es war eine Erleichterung, der direkten Sonnenbestrahlung zu entfliehen, aber selbst mit rundum geöffneten Fenstern folgte die Hitze ihm nach.
    Man sollte meinen, daß jemand, der mit Sonnenenergie sein Geld verdient, eine Klimaanlage installiert hätte, dachte Dalziel mißmutig.
    Chloe Wulfstan klopfte leise an eine Tür, öffnete sie und schlüpfte ins Zimmer.
    Bei seinem kurzen Blick in den Raum, ein altmodisches Arbeitszimmer mit Eichenpaneel, erspähte Dalziel drei Personen, eine von vorn, eine im Profil und eine nur von hinten in einem Lehnstuhl. Beim Anblick dieses Hinterkopfes spürte er, wie sich einen Augenblick lang etwas in ihm zusammenzog – sein Magen, sein Herz, es war anatomisch nicht genau zu orten, aber es war ein Gefühl, das er schon sehr lange nicht mehr empfunden hatte.
    Die Tür öffnete sich wieder, und Mrs. Wulfstan kam heraus. In der oberen Etage hatte erneut das Klavier eingesetzt.
    »But a little past her seeking something after
There where your own dear features would appear
Lit with love and laughter …«
    Die Frau im Lehnstuhl hatte den Kopf gedreht und sah zur Tür. Ihre Blicke trafen sich. Dann schloß sich die Tür abermals.
    »Wenn Sie ihm wohl eine Minute Zeit geben könnten«, sagte Chloe Wulfstan entschuldigend. »Dann kann er die Besprechung beenden, und die anderen Komiteemitglieder müssen nicht warten, während er mit Ihnen redet. Hier hinein, bitte.«
    Sie führte ihn in ein Wohnzimmer im hinteren Teil des Hauses, in dem die weit geöffneten Terrassentüren auf einen langen Garten hinausführten, dessen Rasen die Dürre deutlich anzusehen war.
    »Es ist natürlich eine Versuchung«, sagte sie, als sie seinen Blick bemerkte. »Aber ich fürchte, wir sind alle zu Wasserwächtern geworden, und wenn irgend jemand findet, daß unser Rasen ein wenig zu grün aussieht … Ist ja auch richtig so. Nur, wenn man überlegt, daß wir Dendale verließen, um für alle Zeiten genug Wasser zu haben … da kommt man schon ins Grübeln, oder?«
    Ihre Stimme klang nun höflich und heiter.
    »Ja, das stimmt«, antwortete er. »Der Stausee ist fast ganz ausgetrocknet. Sind Sie jemals wieder hingegangen und haben es sich angesehen, Mrs. Wulfstan?«
    »Nein. Noch nie, Mr. Dalziel.«
    Er musterte sie einen Augenblick, während er an seiner dicken Unterlippe zog. Es wirkte wie ein skeptischer, abschätzender Blick, doch in Wahrheit sah er durch sie hindurch ein ganz anderes Gesicht.
    »Möchten Sie etwas Kaltes trinken?« fragte Chloe Wulfstan.
    »Was? Ja, das wäre nett«, erwiderte er. »Ach, übrigens, der Wagen da draußen, der weiße Saab mit …«
    »Der gehört Arne. Erinnern Sie sich noch an ihn? Arne Krog, der Sänger. Er wohnt das Festival über bei uns. Inger auch. Seine Klavierbegleitung. Sie wohnt auch hier.«
    »Na klar. Wo sie ihn doch begleitet«, sagte Dalziel. Er lächelte, um zu zeigen, daß er einen Scherz hatte machen wollen, aber sie sah ihn nur leicht verwirrt an und verließ das Zimmer.
    Alte Gewohnheiten lassen sich nur schwer ablegen, und Dalziel begann sofort, den Raum zu durchwandern, die Schriftstücke in einem geöffneten Sekretär zu überfliegen, die eine oder andere Schublade aufzuziehen. Aber er war nicht ganz bei der Sache. Über ihm war das Klavier erneut verstummt, und er hörte wiederum ein hitziges Wortgefecht. Plötzlich wurde die Tür aufgerissen, und eine große schlanke Frau kam ins Zimmer. Sie trug eine schwarze Hose und ein schwarzes T-Shirt, was ihre blasse Haut und die hellen langen Haare noch betonte. Als sie Dalziel erblickte, blieb sie abrupt stehen und betrachtete ihn ungerührt aus schiefergrauen Augen. Im Vergleich zu ihrem restlichen Körper, der wohl um die zwanzig war, erschienen diese Augen irgendwie alterslos.
    Er zählte zwei und zwei zusammen und sagte: »Wie geht’s, Miss Wulfstan? Ich bin Detective Superintendent Dalziel.«
    Falls er gedacht hatte, daß sein Scharfsinn sie beeindruckte, so wurde er enttäuscht. Wenn überhaupt, dann schien sie lediglich amüsiert, und ein schwaches Lächeln erhellte ihr regloses Gesicht wie der erste Sonnenstrahl einen

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