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Das Dorf in den Lüften

Das Dorf in den Lüften

Titel: Das Dorf in den Lüften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Stücken? Nein, das jedenfalls nicht. Daß die Wagddis zuweilen bis zu den Ufern des Rio vordrangen, davon hatten sich ja Khamis, John Cort und Max Huber selbst überzeugen können. Auch die flammenden Fackeln, die sich am Tage der Ankunft der Karawane am Saume des Waldes hin und her bewegten, waren jedenfalls von ihnen zwischen den Bäumen getragen worden. Das legte doch den Schluß nahe, daß jene Urmenschen die Hütte des Gelehrten entdeckt, sich seiner Person und seiner Habe bemächtigt und alles nach dem Dorfe in den Lüften übergeführt hatten.
    Der eingeborne Diener war jedenfalls bei Zeiten durch den Wald entflohen. Wäre dieser auch nach Ngala gebracht worden, so würde John Cort oder Max Huber ihm auf jeden Fall schon einmal begegnet sein, denn er war ja hier nicht König und bewohnte auch gewiß nicht den Königspalast. Uebrigens wäre er doch wohl bei der heutigen Feierlichkeit an der Seite seines Herrn als Würdenträger – warum nicht als erster Minister? – erschienen.
    Die Wagddis hatten also den Doctor nicht schlechter behandelt, als Khamis und dessen Gefährten. Seine geistige Ueberlegenheit mochte sie so verblüfft haben, daß sie ihn zu ihrem Herrscher ernannten, was auch John Cort oder Max Huber hätte widerfahren können, wenn der Thron nicht bereits besetzt gewesen wäre. Seit drei Jahren regierte also hier der Doctor Johausen, der Vater Spiegel – jedenfalls hatte er diese Bezeichnung seinen Unterthanen selbst angelernt – unter dem Namen Mselo-Tala-Tala.
    Das erklärte viele, bisher unerklärliche Dinge, so z. B. daß in der Sprache dieser Urmenschen mehrere congolesische und sogar einzelne deutsche Wörter vorkamen, ferner den Umstand, daß sie mit der Handhabung der Drehorgel vertraut waren, endlich, daß wohl auch ein gewisser Fortschritt in den Sitten und Gebräuchen der auf der tiefsten Sprosse der Stufenleiter der Menschheit stehenden Wesen stattgefunden hatte.
    Diese Gedanken tauschten die beiden Freunde unter einander aus, als sie ihre Hütte wieder erreicht hatten.
    Khamis erhielt sofort von allem Mittheilung.
    »Was mir nicht recht in den Kopf will, setzte Max Huber dann noch hinzu, ist, daß der Doctor Johausen sich über die Anwesenheit von Fremden in seiner Hauptstadt gar nicht beunruhigt haben sollte. Er hat sich uns ja nicht einmal vorführen lassen, und es scheint ihm bei der Feierlichkeit gar nicht aufgefallen zu sein, daß wir seinen Unterthanen nicht im geringsten ähnelten.
    – Ich bin ganz Deiner Ansicht, Max, antwortete John Cort, und ich kann unmöglich begreifen, warum uns Mselo-Tala-Tala noch nicht nach seinem Palaste befohlen hat.
    – Vielleicht weiß er gar nicht, daß die Wagddis in diesem Theile des Waldes jemand gefangen genommen habe, bemerkte der Foreloper.
    – Das ist wohl möglich, wäre aber immerhin seltsam, meinte John Cort. Hier liegt noch etwas vor, was wir aufzuklären suchen müssen.
    – Doch wie denn? fragte Max Huber.
    – Wir wollen uns nur darum bemühen, dann wird es uns schon gelingen,« antwortete John Cort.
    Aus allem ging jedenfalls hervor, daß der Doctor Johausen, der nach dem Walde von Ubanghi gekommen war, um mitten unter Affen zu leben, in die Hände eines Stammes gefallen war, der entschieden über den Anthropoïden stand und dessen Vorhandensein er gar nicht geahnt hatte. Er war hier der Mühe überhoben, diesen Geschöpfen die Sprache zu lehren, denn sie sprachen schon allein; so hatte er sich darauf beschränkt, ihnen einzelne Wörter aus der congolesischen und aus der deutschen Sprache beizubringen. Da er ihnen wohl gleichzeitig als Arzt Beistand leistete, hatte er eine so große Popularität gewonnen, daß man ihn auf den Thron erhob. In der That war es John Cort auch schon aufgefallen, daß die Bewohner Ngalas sich einer vortrefflichen Gesundheit erfreuten, daß es hier keinen Kranken gab, und daß seit dem Eintreffen der Fremden – wie schon erwähnt – kein einziger Wagddi gestorben war.
    Hier muß man also zugeben, daß, obwohl ein Arzt, den man sogar zum König gemacht hatte, im Dorfe lebte, die Sterblichkeit nicht zugenommen hatte. Eine etwas unziemliche Bemerkung über den Aerztestand, die Max Huber aber doch nicht unterdrücken konnte.
    Was sollte nun geschehen?… War zu erwarten, daß die Stellung, die der Doctor Johausen in Ngala einnahm, eine Aenderung in der Lage der Gefangenen herbeiführen werde?… Würde der Herrscher von teutonischer Rasse zögern, ihnen die Freiheit wiederzugeben, wenn sie vor ihm

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