Das Dornröschen-Projekt - Krimi
ein, was seinem Denkvermögen eher geschadet, seinem Mut aber keinen Abbruch getan hatte.
Matti rollte auf die Straße, das Nageln verwandelte sich in ein Brummen, er fuhr auf schnellstem Weg zur Stadtteilzeitung , also über die Reuterstraße, die Karl-Marx-Straße, vorbei am U-Bahnhof Neukölln, danach rechts weg in die Silberstein- und die Hertastraße. Dornröschen begrüßte ihn mit einem fahrigen Winken. Rolf, ihr langjähriger Kollege, saß am Mitteltisch und las mit verkniffenem Gesicht einen Ausdruck, Heike, klein und hübsch mit ihren kurzen brünetten Haaren, saß am PC und hackte auf die Tastatur ein.
»Und die DVD ?«, fragte Matti.
Dornröschen schob ihm eine Plastikhülle über den Tisch. Sie wandte sich gleich wieder ihrem PC zu, auf dem Bildschirm war ein Zeitungsumbruch.
In der Hülle steckte ein Zettel: Boelcke 29c stand darauf in Dornröschens Krickelschrift. Das war nicht weit, zurück auf die Karl-Marx-Straße, in die Gneisenaustraße über den Mehringdamm hinweg, wo Autoscheibenputzer am Kreuzungsrandstein auf Kunden warteten, in die Yorkstraße, vorbei am New Yorck Kino, etwas zurückgesetzt, und der Bar Centrale, wo er in einem Anflug des Leichtsinns einmal mit einer Frau gegessen hatte, an deren Namen er sich nicht mehr erinnerte, nur daran, dass sie absurd schrill gelacht hatte, und endlich links weg über die Katzbach- in die Boelckestraße. Matti überlegte auf der Fahrt, wie lange er Zirkel-Norbi nicht mehr gesehen hatte, es waren viele Jahre. Vielleicht arbeitete er gar nicht mehr in dem Ingenieurbüro. Er überlegte, ob er ihn kurz anrufen sollte, fürchtete dann aber, dass Norbi nur das Muffensausen bekäme und abhauen könnte. Zuzutrauen wäre es ihm. Damals war er schließlich auch abgehauen.
Er ignorierte einen Mann mit einem Hut, der am Straßenrand winkte, wendete am Loewenhardtdamm auf die Gegenfahrspur und fand einen Parkplatz direkt vor dem Haus 29c. Als er ausstieg, trippelte eine alte Frau mit schwingender Handtasche und aufgerissenem Mund auf ihn zu. »Sind Sie frei?«, hechelte sie.
Matti schüttelte den Kopf. »Muss zu einem Kunden«, brummte er und ließ die Frau mit offenem Mund stehen. Er packte die DVD -Hülle fester. Das Ingenieurbüro Rastmann belegte laut Klingelschild die beiden oberen Stockwerke in einem der typischen Berliner Mietshäuser aus der Nachkriegszeit. Es lag mit anderen in einem durch Straßen begrenzten Karree mit Rasen, Büschen und Bäumen. Vor dem Haus stand eine knospende Buche, zumindest glaubte er, dass es eine war. Ein Stück weiter vorn parkte mit eingeschalteten Warnlichtern ein Lieferwagen von Bofrost.
Matti entschied sich für die untere der beiden Klingeln. Der Türöffner summte, und es klackte, als er die Tür aufdrückte. Er stieg zwei Steintreppen mit einem schnörkellosen Stahlgeländer hoch und stand vor einer dunkelbraun gebeizten Holztür mit einem Milchglaseinsatz. Drinnen war einiger Betrieb, wie er durch den kleinen Ausschnitt schemenhaft erkannte. Er drückte die Tür auf und betrat einen Flur mit einem Schreibtisch, dahinter eine verwegen geschminkte junge Frau mit freiem Bauch, gepierctem Nabel und einem engen pinkfarbenen Top, das zu ihren Haaren passte, die in einem genau geordneten Chaos Wildheit ausstrahlten, schwarz mit Pinksträhnchen. Sie saß schief auf dem Sessel, den Telefonhörer am Ohr, kaute am Nagel des kleinen Fingers, hörte zu, verzog das Gesicht, sagte leise etwas, verzog wieder das Gesicht, lauschte und warf einen kurzen Blick auf Matti, um sich gleich wieder ihrem Telefonat zu widmen.
Matti tippte mit der DVD -Hülle auf seine Handfläche und räusperte sich. Das brachte ihm erst einen ungnädigen Blick ein, aber dann doch die gewünschte Aufmerksamkeit. Sie blickte ihn stahlblau an, den Telefonhörer in der Hand, aber nicht mehr am Ohr.
»Norbert«, er überlegte, dann: »Kaloschke …«
Ihr Daumen ruckte nach oben, der Blick streifte kurz die Decke, um dann im Schreibtisch zu versinken, während sie den Hörer wieder ans Ohr drückte.
Matti verließ den Vorraum und stieg die Treppe hoch. Oben die gleiche Tür, er drückte sie auf und stand in einem Großraumbüro mit vier Schreibtischen, riesigen Monitoren, Plottern. In der türabgewandten Ecke eine Art Glaskasten, in dem ein Glatzkopf saß und telefonierte, was in Mattis Hirn kurz den Gedanken aufscheinen ließ, dass am anderen Ende die Pinklady sein könnte.
Niemand beachtete Matti, und der entdeckte Norbi nicht. Doch dann tauchte er auf
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