Das dunkle Lied des Todes
aber nicht langweilig. Man hat Lust, sich an einen Typen wie Anders anzulehnen, aber das ist das Letzte, was man tun sollte. Denn er weicht jeder Berührung aus. Oder vielleicht auch nicht, eigentlich kenne ich ihn ja nicht richtig. Er ist so einer, der einsilbig und mit einem kleinen ironischen Lächeln antwortet. Er und Thomas stehen in gewisser Weise außerhalb der Gruppe, bilden aber zugleich den Kern der Klasse. Anders macht nie einen falschen Schritt, sondern schwebt über den Wassern. Franz versucht immer wieder, ihn herauszufordern, und scheitert immer wieder. Ich glaube, zwischen Anders und Betty läuft etwas.«
»Aber kannst du sie leiden?«, fragte Bromsen. »Deine Schüler?«
»Ich liebe sie«, Eva lächelte. »Jeden und jede. Sie sind nur elf, aber zusammen bilden sie ein vollständiges Ganzes. Ein Team aus Einzelgängern, die auf kongenialeWeise zueinanderpassen. Es ist wirklich ein Privileg, ihre Lehrerin zu sein. Sie sind sich ihres Status als Auserwählte natürlich bewusst. Ich glaube, gerade das führt zu dieser seltsamen Gemeinschaft. Auch wenn sie dauernd aufeinander herumhacken, gibt es doch eine Art von Zusammenhalt, die schwer zu erklären ist. Aber ansonsten sind sie wohl wie ganz normale Teenager.«
Eva zeigte auf ein großes schlankes Mädchen, das mit verschränkten Armen ein kleines Stück abseits stand.
»Betty Matson, das schwarze Schaf der Klasse. Sie hat eigentlich auf der teuersten Privatschule im Land nichts zu suchen. Betty lebt allein mit ihrer Mutter, die sich alles abknapst, damit ihre Tochter eine Ausbildung erhält, die ihrer Begabung entspricht. Sie ist ein kluges Mädchen, wirkt ein wenig einsam, aber das scheint sie so zu wollen. Man hat leicht Mitleid mit ihr. Sie kann sich die neuesten Markenklamotten nicht leisen, deshalb trägt sie Overalls und Männerhemden. Früher wäre sie wohl als Hippie bezeichnet worden. Ich weiß nicht, wie das heute heißt. Betty hat nie zu einer Freundinnenclique gehört. Sie hasst Franz und Franz hasst sie. Aber Betty hat auch etwas Kühnes.«
»Liebling der Lehrerin?«
»Was?«
Bromsen legte den Kopf in den Nacken und lachte.
»Wieder Franz. Er hat mir alle schon vorgestellt. Dich inklusive.«
»Wirklich? Wie nett von ihm. Was hat er gesagt?«
»So ungefähr dasselbe wie du. Hat sich vielleicht ein wenig anders ausgedrückt: Anders ist ein arroganter Arsch, Betty knatschverrückt und Julius eine Pestbeule.«
»Aber was hat er über mich gesagt?«
»Er hat gesagt, dass du sprachbegabt bist und ungefähr so musikalisch wie ein Telegrafenmast.«
»Da hat er recht. Was noch?«
»Sonst nichts.«
»Du lügst. Er hat gesagt, dass ich hysterisch bin und es immer auf ihn abgesehen habe.«
Bromsen beugte sich vor.
»Es läuft Wasser rein«, sagte er.
Eva sah ihn an.
»Es läuft Wasser rein?«
»In den Minibus. Ich war damit in einer Waschstraße, weil die Windschutzscheibe blutverschmiert war.«
»Was sagst du da?«
»Ich hab ihn bei der Mietwagenfirma abgeholt. Auf dem Heimweg ist mir eine Möwe gegen die Windschutzscheibe geknallt. Eine riesige graue Möwe. Also bin ich in die nächste Waschstraße gefahren und habe festgestellt, dass der Bus nicht dicht ist. Das Wasser ist reingelaufen.«
»Dann müssen wir ja beten, dass das Wetter sich hält.«
»Oder nass werden.«
Eva schaute in Bromsens kleine stechende Augen. Für einen Moment hielt sie den Blickkontakt. Vor allem um klarzustellen, dass sie hier bestimmte. Dass es ihre Klasse war, ihr Projekt.
Sie steckte sich noch eine Zigarette an, in dem Wissen, dass es ihn störte, wenn sie rauchte. Umso besser. Sie drehte die Zigarette zwischen den Fingern und sagte sich: Passivrauchen ist übel, vor allem für einen Pfadfinder wie dich, Bromsen. Aber das ist egal. Es gibt noch viel Schlimmeres. Wenn du nur wüsstest. Aber das tust du nicht, deshalb begnügen wir uns mit Passivrauchen.
Eva ließ sich zurücksinken.
»Ich fahre heute Abend hoch. Um alles fertig zu machen. Ich mag es nicht, wenn nicht alles vorbereitet ist. Das Haus ist ziemlich abgelegen, aber ich rufe dich an, wenn es schwer zu finden ist. Ich habe eine Karte gezeichnet, die du benutzen kannst, wenn ihr die Autobahn verlasst. Ihr müsst durch ein Dünengelände und dann über eine Stichstraße zum Wasser fahren. Der Ort heißt Burgsvig.«
Bromsen stand auf und reckte sich.
»Jaja«, sagte er, »das wird schon alles klappen. Wie heißt das Haus noch gleich?«
»Pemba.« Eva suchte ihre Sachen zusammen.
Weitere Kostenlose Bücher