Das Dunkle Muster
stand, sah das in Nord-Süd-Richtung verlaufende Tal. Zwanzig Kilometer vor ihnen wandte es sich in einem weiten Bogen nach Osten, um sich dann in die Ferne zu winden wie ein malaiischer Dolch mit wellenförmiger Klinge.
Hin und wieder warf der Fluß die Sonnenstrahlen zurück. Aus dieser Höhe waren die Millionen und Abermillionen Menschen, die an seinen Ufern lebten, unsichtbar, und selbst die größten Schiffe schienen den Beobachtern nicht größer zu sein als aufgetauchte Drachenfische. Die Welt sah von hier oben so aus wie am Tage der Wiedererweckung. Nichts von Menschenwerk war erkennbar.
In der Nase der Parseval war inzwischen ein Fotograf damit beschäftigt, die ersten Luftaufnahmen des Planeten zu machen. Und die letzten. Man würde die Fotos mit dem Flußverlauf vergleichen, wie ihn die Leute von der Mark Twain über Funk geschildert hatten. Allerdings würde es auch auf den Karten, die der Bordkartegraph der Parseval herstellen mußte, noch eine Menge weißer Stellen geben, denn der Raddampfer war vor seinem Aufbruch nach Norden mehrere Male nach Süden gefahren und hatte in der südlichen Polregion gekreuzt. Die Luftaufnahmen würden zusammen mit den Informationen der Mark Twain also lediglich ein Bild über die nördliche Hemisphäre des Planeten liefern. Aber der Fotograf konnte seine Kamera immerhin schon auf jene Gebiete richten, die die Mark Twain erst noch durchfahren mußte. Die Radaranlage hatte inzwischen Informationen über die Höhe der Gebirgsmassive ausgespuckt. Der höchste bis jetzt entdeckte Berg war 4564 Meter hoch, die anderen waren jedoch kaum mehr als 3000, die meisten sogar nur 1500 Meter hoch.
Bevor sie nach Parolando gekommen war, hatte Jill wie die meisten angenommen, daß die Berge zwischen viertausend und siebentausend Meter hoch sein müßten. Das waren natürlich nur reine Schätzungen gewesen, denn sie war nie jemandem begegnet, der auch nur im Traum daran gedacht hätte, eine wissenschaftlich exakte Messung vorzunehmen. Erst als sie in Parolando angekommen war, wo es genügend technische Gerätschaften gab, wie sie im zwanzigsten Jahrhundert auf der Erde existiert hatten, war es möglich gewesen, die Höhe der Berge genau festzustellen.
Möglicherweise lag es an der unmittelbaren Nähe der Bergwände, daß die Leute sich von ihnen erschlagen fühlten und sie für höher hielten, als sie waren: in der Regel erhoben sie sich steil in die Höhe und wurden nach etwa dreihundert Metern so ebenmäßig glatt, daß niemand sie besteigen konnte. Oft hatten sie Überhänge, die es selbst geübten Bergsteigern mit guter Ausrüstung unmöglich machten, sie zu erklimmen.
Jetzt, wo sie über den Höhenzügen dahinschwebten, stellten sie fest, daß die Massive an der Spitze selten breiter waren als vierhundert Meter. Dennoch war es unmöglich, die harte Felswand ohne stählerne Werkzeuge und Dynamit zu bewältigen. Es wäre zwar möglich gewesen, den Fluß in Richtung Norden heraufzufahren, bis er sich in eine Kurve legte, die wieder nach Süden führte. Von dort aus hätte man – mit genügend Bohrmaterial und Sprengstoff ausgerüstet – einen Tunnel durch die Felswand treiben können. Aber wer hätte schon im voraus gewußt, welche Strecke durch das Berginnere zurückzulegen war?
Die Parseval nutzte munter die nordöstlichen Oberflächenwinde aus, passierte die Roßbreiten und bediente sich ausgiebig des in den gemäßigten Zonen wehenden Rückenwindes. Innerhalb von vierundzwanzig Stunden hatte sie ein Gebiet überflogen, das schätzungsweise der Strecke von Mexico City bis zu den weitesten Ausläufern der Hudson Bay entsprach. Bevor der zweite Reisetag endete, mußte sie die Gegenwinde der arktischen Region erreichen, aber niemand wußte, als wie stark sie sich erweisen würden. Tatsache war jedoch, daß die Luftströmungen der Flußwelt wegen des Fehlens beträchtlicher Unterschiede zwischen den Land- und Wassernüssen nur selten irdische Intensität erreichten.
Ein Unterschied wurde den Luftschiffern jedoch in der Äquatorialzone deutlich: der zwischen den Bergen und den Tälern. Die Berge waren weitaus höher als in den gemäßigten Breitengraden, die Täler wesentlich enger.
Man konnte die Landschaft der Äquatorzone mit den norwegischen Fjorden vergleichen. Regnete es in den klimatisch gemäßigten Gebieten der Flußwelt täglich gegen 15.00, so war dies am Äquator um 3.00 Uhr der Fall, wobei es in der Regel auch zu Gewittern kam. Die parolandischen Wissenschaftler
Weitere Kostenlose Bücher