Das dunkle Universum 04 - Evolution der Leere
näherte sich.
»Wer sagt's denn«, murmelte sie zufrieden, als die Schiffssensoren den Besucher abtasteten. Es war der Skylord, mit voll ausgebreiteten Vakuumschwingen.
Während er sich näherte, betrachtete sie noch einmal den eigenartigen ovoiden Körper. Sie war immer noch außerstande zu bestimmen, ob die phantastischen kristallinen Falten sich tatsächlich bewegten oder ob sie die Muster von Lichtbrechungen auf der Oberfläche sah. Die Sensoren der Silverbird konnten die Substanz nicht richtig erfassen.
Wie schon einmal lehnte sie sich auf der längsten Liege in der Aufenthaltskabine zurück und griff mit ihrem Longtalk hinaus nach dem Skylord.
»Hallo«, sagte sie.
»Sei uns willkommen«, erwiderte der Skylord.
So weit, so bekannt. Sehen wir mal weiter: »Ich bin in dieses Universum gekommen, um Erfüllung zu erlangen.«
»Alle, die hierherkommen, streben danach.«
»Wirst du mir helfen?«
»Deine Erfüllung kannst nur du selber erlangen.«
»Das weiß ich. Aber Menschen wie ich erreichen Erfüllung durch die Teilhabe an ihrer Gesellschaft. Bring mich bitte nach Querencia, der Welt, wo meinesgleichen lebt.«
»Wir sind uns keiner Gedanken in diesem Universum gewahr, die denen deiner Art ähnlich sind. Es ist niemand mehr da.«
»Auch das ist mir bekannt. Aber ich bin bloß die erste einer neuen Generation meiner Art, die an diesem Ort eintrifft. Bald werden Millionen mir folgen. Wir wollen auf der gleichen Welt leben und Erfüllung finden, auf der die Menschen vor uns herangereift sind. Weißt du, wo sie ist? Es gab dort eine große Stadt, die nicht von diesem Ort war. Erinnerst du dich, wie du die menschlichen Seelen von dieser Welt zum Herz geleitet hast?« Justine spannte sich an. Dies war die entscheidende Frage.
»Ich erinnere mich an diese Welt«, sagte der Skylord. »Viele habe ich von dort zum Herzen geführt.«
»Bitte bring mich dorthin. Bitte lass mich Erfüllung erlangen.«
»So soll es geschehen.«
Justine merkte, wie sich in der Kabine auf irgendeine Weise die Schwerkraft veränderte. Der Smartcore meldete eine alarmierend hohe Anzahl von Störungen überall im Schiff. Sie schenkte ihm keine Beachtung - ihr war fürchterlich schwindelig. Sie stand kurz davor, sich zu übergeben, außerstande, ihren Blick auf die gekrümmte Kabinendecke zu fokussieren, so rasend schnell bewegte sie sich. Eilig presste sie die Augenlider zusammen, was den Effekt nur noch schlimmer machte; also zwang sie sich, die Augen wieder zu öffnen und konzentrierte sich mit aller Macht auf die Medi-Kammer unmittelbar vor ihr. Sekundärroutinen in ihren makrozellularen Clustern setzten ein, um die unberechenbaren Impulse zu korrigieren, die ihr Innenohr ins Gehirn abfeuerte, und versuchten, dem entsetzlichen Schwindelgefühl entgegenzuwirken. Als der Effekt ein wenig nachließ, checkte sie die Sensorbilder. »Heilige Scheiße.«
Die Silverbird schlingerte und rotierte, als ihre Flugbahn eine jähe Kurve beschrieb; wie Treibgut war sie verfangen im Kielwasser des Skylords. Die geschwungenen Muster in den kristallinen Hautlappen des Skylords wogten wie eine schäumende See, während seine Vakuumschwingen wie ein schillernder Schleier über dem sanften Glühen der Nebelflecken der Leere wallten. Das einzige Bild, das ihr dazu einfiel, war ein wild flatternder Vogel. Dann war die Kursänderung vollzogen. Die Sensoren der Silverbird meldeten eine deutliche Dopplerverschiebung im Licht der Sterne. Sie beschleunigten mit Hunderten von g, genau wie es der Skylord bei ihrer ersten Begegnung getan hatte.
Jener ersten Begegnung, korrigierte sie sich. Oder sollte ich sagen ... Am Ende entschied sie, dass die Grammatik der menschlichen Sprache den Möglichkeiten der Leere noch ein bisschen hinterherhinkte.
Welche seltsame temporale Anpassung der Skylord auch immer vorgenommen hatte, um ihre Beschleunigung zu ermöglichen, bald darauf endete sie. Vor ihnen hatten die wenigen Sterne, die inmitten der Nebelflecken leuchteten, eine bläuliche Färbung angenommen, die dahinter reichten in ihrem Spektrum bis hinunter ins Rot. Der Smartcore der Silverbird ermittelte, dass sie nun mit etwa null Komma neun Lichtgeschwindigkeit flogen. Die Störungen an Bord reduzierten sich auf ein akzeptables Maß, und ihr Schwindelgefühl klang ab.
Sie stieß einen riesigen Seufzer der Erleichterung aus, dann grinste sie traurig. »Danke, Dad«, sagte sie laut. Auf ihn konnte man sich immer verlassen, wenn einem selbst die Ideen ausgingen.
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