Das dunkle Volk: Mondschein: Roman (German Edition)
Während ich das Bild betrachtete, durchfuhr mich ein Schaudern, und der Wolf knurrte so laut, dass ich seinen Atem auf der Haut spürte. Mein Körper war ausgehungert, und der Hauch weckte Sehnsucht in mir.
Ich schloss die Augen und holte tief Luft. Ich musste in Bewegung kommen, denn wir hatten keine Zeit zu verlieren. Heather mochte verletzt sein – oder Schlimmeres. Mögliche Szenarien rasten durch meinen Verstand: Sie war gestürzt und bewusstlos, hatte sich vielleicht das Bein gebrochen oder schaffte es aus einem anderen Grund nicht nach Hause. Alles Mögliche konnte passiert sein, und doch wusste ich, dass dem nicht so war.
Ich duschte rasch, trocknete mich ab und zog mir eine saubere schwarze Jeans und einen schwarzen Rollkragenpulli an. Dann streifte ich mir meine Lederjacke über und betrachtete mich im Spiegel.
»Nicht übel.« Okay, vielleicht trug ich Discounterklamotten, aber mein Stil war Gothic Rock, und er stand mir verdammt gut. Ich drehte mich zur Seite und klopfte mir auf den Sixpack. Stramm, nicht nach innen gewölbt. Bei eins dreiundsechzig wog ich etwas über sechzig Kilo und war durch Training und durch das Leben auf der Straße fit.
Ich hatte glatte tiefschwarze Haare, die mir bis knapp über die Schultern hingen, und die Spitzen hätten dringend geschnitten werden müssen. Ich strich mir die langen Ponyfransen hinters Ohr und starrte in mein Gesicht. Die Haarfarbe bildete einen starken Kontrast zu meinen grünen Augen und der hellen Haut.
Ein Windstoß stieß gegen das Fenster und schreckte mich aus meinen Gedanken. Willkommen zu Hause, Cicely. Willst du denn nicht guten Tag sagen?
Behutsam schob ich das Fenster hoch. Das innere Strahlen, das ich immer mit dem Wald verbunden hatte, war verblasst; Schluss mit der freundlichen Einladung. Während ich in die Bäume blickte, legte sich ein Schatten über den Wald. Ich lehnte mich an den Sims und starrte hinaus ins Unterholz, über das sich in dicken Flocken eine weiße Decke gelegt hatte.
»Bist du noch dort draußen?«, flüsterte ich. »Wartest du auf mich? Willst du mich noch? Was ist geschehen, Grieve? Das Licht ist aus den Bäumen gewichen.«
Grieve. Seine erste Liebe vergaß man nie. Ich war sechs Jahre alt gewesen, als wir uns kennengelernt hatten, aber erst bei einem meiner Besuche hier elf Jahre später war es geschehen, dass er sich meiner angenommen, mich auf sein Lager gezogen, mich geliebt und mir das Herz gestohlen hatte. Und ich hatte ihm seins gebrochen.
Grieve. War er noch irgendwo dort draußen? Mein Wolf sagte ja. Wartete er darauf, dass ich ihn wiederfand? Die Zeit würde es zeigen. Aber wusste er, was mit Heather geschehen war? Das konnte ich nur hoffen.
Es gab nur eine Möglichkeit, eine Antwort auf all meine Fragen zu bekommen.
Ich machte mich auf den Weg nach unten.
Leo Byrne befand sich im Wohnzimmer. Ich hatte keine Ahnung, wie ich mir einen Tagesboten vorgestellt hatte, wie Leo jedenfalls nicht. Er war Ende zwanzig, groß, hatte helles Haar und ein schiefes, wenn auch nettes Lächeln. Er war schlank und ein wenig schlaksig, und die Windjacke, die er trug, ließ ihn jünger wirken, als er war.
»Was ist deine Spezialität? Werwesen? Magiegeborener?«
Er lächelte. »Hexer. Kräuter und Heilung. Deine Tante weihte mich in ihre Künste ein. Ich kann nicht glauben, dass sie einfach abgehauen sein soll, ohne jemandem etwas davon zu sagen.«
»Das ist sie auch nicht. Du weißt das, Rhiannon weiß das. Ich weiß das. Die Einzigen, die sich etwas vormachen, sind die Cops. Aber jetzt sag mir, was macht ein Tagesbote?«
Er errötete. »Ich erledige für Geoffrey und seine Frau, was sie tagsüber nicht tun können. Wäsche aus der Reinigung abholen, bestimmte Einkäufe, Dinge bei der Post oder Bank – so etwas eben.«
»Und zahlen sie gut?« Ich wusste, dass meine Neugier aufdringlich war, aber es konnte nicht schaden zu wissen, was es für Möglichkeiten gab. Marta mochte mir ihr Geschäft vermacht haben, aber ich hatte Zweifel, dass es viel abwerfen würde.
»Ähm, nicht schlecht. Es gibt aber Vorsorgeleistungen.« Er schlang den Arm um Rhiannons Taille und zog sie an sich, und sie legte ihren Kopf an seine Schulter. Es war deutlich, dass die beiden schon eine Weile zusammen waren. Sie benahmen sich sehr ungezwungen in der Gegenwart von anderen. »Und die kommen mir in den nächsten Jahren sehr recht.«
Rhiannon wurde rot und schlug spielerisch nach ihm. »Ich habe noch gar kein Datum festgelegt, und bis
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