Romana Exklusiv 0187
1. KAPITEL
Bridget griff nach dem langen weißen T-Shirt, das sie soeben ausgezogen hatte, und streifte es wieder über. Sie fand sich damit ab, dass sie noch länger auf die ersehnte Dusche würde warten müssen. Obwohl sie bereits vor fast einer Woche von London nach Delhi geflogen war, hatte sie sich noch nicht an die Hitze in dieser mitunter beängstigenden, aber immer faszinierenden Stadt gewöhnt.
Die Geräusche, die aus dem vorderen Teil des Gebäudes drangen, waren unmissverständlich. Irgendjemand verschaffte sich mit Schlüsseln Zutritt – und das konnte nahezu jeder sein. Stirling Industries besaß Häuser in den Hauptstädten der meisten Länder, in denen die Firma tätig war. Neu eingetroffene Mitarbeiter brauchten sich nur beim Leiter der örtlichen Niederlassung zu melden, um ein Schlüsselbund zu erhalten.
Vielleicht handelte es sich ja auch um eine besonders bevorzugte Freundin des berüchtigten Frauenhelden Jordan Stirling, die über eigene Schlüssel verfügte. In diesem Fall würde die Dame eine ähnliche Enttäuschung erleben wie all die anderen, denen im Lauf der letzten Tage aufgefallen war, dass das Haus bewohnt war, und die in der Hoffnung vorbeigeschaut hatten, ihn hier vorzufinden.
Eine Stewardess, eine junge Engländerin, die für einen indischen Radiosender arbeitete, und ein elegantes Geschöpf, das in der britischen Botschaft beschäftigt war – sie alle hatten behauptet, rein zufällig in der Gegend gewesen zu sein, aber selbst Bridget, der jeglicher Zynismus eigentlich fremd war, vermutete, dass die Straße vor diesem Anwesen bei den Bewunderinnen von Jordan Stirling zu einer regelrechten Pilgerroute zählte.
„Hallo!“
„Wer sind Sie?“
In der prächtigen Eingangshalle standen zwei Personen, doch Bridget achtete kaum auf die Frau, die zuerst gesprochen hatte. Der Blick ihrer grünen Augen richtete sich sofort auf den Mann, der die herablassende Frage gestellt hatte. Er strahlte eine geradezu überwältigende Autorität aus, die sofort die Aufmerksamkeit auf ihn lenkte.
Obwohl sie ihn noch nie persönlich gesehen hatte, gab es keinen Zweifel, dass er Jordan Stirling war. Groß, schlank und muskulös, mit einem markanten Gesicht, zu dem die sinnlichen Lippen nicht recht passen wollten, und rabenschwarzem Haar. Bridget war noch nie einem so selbstsicheren Menschen begegnet. Sekundenlang blickte sie ihn stumm an, ganz so, als würde seine bloße Anwesenheit jeglichen klaren Gedanken verdrängen.
Erst nach einer Weile merkte sie, dass er noch immer auf eine Antwort wartete. „Ich bin Bridget …“ Als sie seine gereizte Miene sah, atmete sie tief durch. „Bridget Greer, Mr. Stirling. Ich arbeite für Ihre Schwester.“
„Ach ja? Und in welcher Funktion genau?“, erkundigte er sich skeptisch. „Wo ist Virginia überhaupt?“
Die Frage warf ein weiteres Problem auf. Virginia hatte ihr alle möglichen Anweisungen erteilt, wie sie sich zu verhalten hätte, falls ihr Bruder in Indien auftauchen sollte – ein höchst unwahrscheinliches Ereignis, wie sie Bridget beteuert hatte, aber nun stand er vor ihr, und Bridget war nicht sicher, wie viel Loyalität sie ihrer Chefin schuldete.
„Ich glaube, irgendwo in Amerika“, erwiderte sie ebenso wahrheitsgemäß wie ausweichend.
„Warum? Sie sollte hier sein und Stoffe für ‚Ginny’s‘ kaufen“, konterte Jordan Stirling.
„Ich erledige das für sie“, erklärte Bridget sanft, obwohl ihre Geduld allmählich erschöpft war.
„Unsinn – oder zumindest ziemlich abwegig.“
Er betrachtete geringschätzig die seidigen dunklen Strähnen, die sich aus dem lockeren Zopf gelöst hatten, der ihr über den Rücken baumelte. Dann wandte er seine Aufmerksamkeit ihrem ungeschminkten Gesicht zu, bevor er den Blick über das weite T-Shirt gleiten ließ, das zwar ihre zierliche Gestalt verbarg, ihre langen, schlanken Beine jedoch nur notdürftig bedeckte.
Bridget spürte, wie ihr glühende Hitze in die Wangen stieg.
Niemand hatte sie je zuvor als Lügnerin bezeichnet, und nun fehlten ihr buchstäblich die Worte vor Empörung. Ein kurzer Blick auf Jordans blonde, blauäugige Begleiterin zeigte, dass von deren Seite keine Hilfe zu erwarten war.
„Warum sonst sollte ich wohl hier sein?“
„Das kann ich mir momentan beim besten Willen nicht vorstellen, aber es wird mir gewiss bald einfallen.“ Er hatte offenbar seine Irritation überwunden und klang nur noch gelangweilt, als er auf das Gepäck neben der Eingangstür deutete.
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