Das Dunkle

Jonathans Hand los und rannte zu der zitternden Gestalt, Leuchtangriff hoch über ihren Kopf erhoben, die von dort dämonische Schatten in alle Richtungen warf.
    Es war nicht Rex.
    Das Mädchen war kränklich und eingefallen, seine Beine zu dünn, um darauf zu stehen. Ledrige Hautfetzen hingen an seiner menschlichen Haut, die nach Jahren in der Finsternis albinoweiß schimmerte.
    „Hell …“, sagte es mit trockener Kehle, von der Fackel so geblendet wie Jonathan.
    Natürlich war das Mädchen immer noch ein Midnighter.
    Ein Seher, hatten Rex und Melissa gesagt. Jessica verbarg die Flamme hinter sich, und die Augen öffneten sich einen Spalt, purpurn leuchtend.
    „Endlich seid ihr zu mir gekommen.“
    Jessica blinzelte. Endlich – nach fünfzig Jahren. Das Mädchen konnte nicht verstehen, wie lang das gewesen war.
    „Ja. Jetzt wird alles gut.“ Sie sah nicht gut aus. Sie konnte ihren Kopf nur mühsam halten, ihre Muskeln waren nach jahrelanger Gefangenschaft im Darklingkörper erschlafft.
    „Ich kenne dich nicht“, sagte sie leise. „Ich bin Anathea.“
    „Wir sind neu in der Stadt“, sagte Jonathan, der hinter Jessica hergehumpelt war. „Anathea, wir suchen nach einem Freund …“
    „Dem anderen Seher“, sagte sie und nickte traurig. „Sie haben ihn verwandelt und mich hiergelassen.“
    „Weißt du, wohin sie ihn mitgenommen haben?“

    „Ich kann ihn suchen.“ Sie deutete mit einem dünnen Finger auf Leuchtangriff. „Mach das aber aus.“
    Jessica drehte sich um und warf sie in die Finsternis. In dem Moment, als sie sich von ihrer Hand löste, stotterte die Flamme und war aus, bevor sie am Boden ankam. Sie zog Überraschende Strahlenwaffe wieder heraus, falls irgendwelche Gleiter wagten, in der Nähe zu bleiben.
    Das Mädchen seufzte erleichtert über die plötzliche Schwärze und schlug ihre Augen weiter auf. Sie ließ ihren Seherblick über den Horizont gleiten, dann nickte sie.
    „Er fliegt in die Richtung.“
    „Fliegt …“ Jessica konnte den Schwarm aus Körpern vor dem aufgehenden Mond kaum ausmachen. Rex und sein neues Gefolge.
    Sie waren zu spät.
    „Wir müssen ihm folgen …“, sagte sie verzweifelt. „Ihn versuchen zu retten.“
    „Wenn ihr ihn über dem Boden halten könnt, bis die Sonne aufgeht“, sagte das Mädchen, „wird das Darklingfleisch wegbrennen, glaube ich.“
    „Ich hab meine eigene Sonne“, sagte Jessica und hielt Überraschende Strahlenwaffe fest umklammert. „Komm schon, Jonathan.“
    Er hielt inne und sah auf Anathea hinab. „Wirst du zurechtkommen?“
    Das Mädchen schüttelte den Kopf. „Ich weiß, warum sie mich gehen ließen.“ Sie sank wieder zu Boden.
    „Komm jetzt!“
    „Und wenn sie zurückkommen und ihr etwas antun?“, fragte Jonathan.
    „Sie wollen mein Fleisch nicht“, antwortete Anathea. „Ich bin jetzt eine von ihnen.“ Jessica sah zu dem Schwarm auf, der sich entfernte. Bei den Worten begann sie zu frösteln. Wenn das wahr war, dann war Rex jetzt auch einer von ihnen. „Wir müssen los, Jonathan.“
    Jonathan zögerte, dann zog er seine Jacke aus und legte sie dem Mädchen um die zerbrechlichen Schultern.
    „Wir kommen zurück“, sagte er zu Anathea, bevor er Jessicas Hand packte.

    Überraschende Strahlenwaffe suchte nervös den Himmel ab und räumte mit ihrem Strahl vor ihnen den Weg frei. Einige Gleiterschwärme attackierten das Licht, verwandelten sich aber sofort in brennende Bälle, die sich abwärtssausend verzehrten.
    Obwohl Jonathan fast nichts sehen konnte, kamen sie dem Schwarm schnell näher. Jessica erkannte bald, woran das lag.
    Im Zentrum schlug ein Darkling von fast menschlicher Gestalt mit den Flügeln. Er flog unbeholfen, mit unkoordinierten Flügeln, und der Körper zuckte entsetzlich, als ob er mit sich selbst kämpfen würde. Sein langer, stacheliger Schwanz zuckte wie bei einer nervösen Katze in der Luft.
    „Rex“, flüsterte sie.
    Sie kamen näher, und die Taschenlampe begann am Ende des Begleitschwarms Gleiter in Brand zu setzen und den Rest in wütende Strudel zu verwandeln.
    Zwei Darklinge sanken herab, um sich zu dem Wesen in der Mitte zu gesellen, rechts und links Stellung zu beziehen und es voranzutreiben, aber Jessica sah die rudernden Arme, die sie abzuwehren versuchten.
    Am höchsten Punkt ihres nächsten Sprungs richtete sie Überraschende Strahlenwaffe direkt in den Schwarm und wiederholte ihren Namen, um ihr die größtmögliche Energie abzuringen.
    Der Strahl fuhr in die Meute, und die