Das versteckte Experiment (German Edition)
Christine
1. Der Stern Sonne
Jan hatte den Montag-Morgen-Blues. Er hatte davon gehört, dass der Flügelschlag eines Schmetterlings in China einen Wirbelsturm im Golf von Mexiko auslösen konnte. Dass seine Müdigkeit an diesem Tag sein ganzes Leben und die Zukunft der Menschheit beeinflussen sollte, hätte sich Jan zum gegenwärtigen Zeitpunkt ganz sicher nicht vorstellen können. Doch das Leben glich nun einmal einem komplexen System, das oft auf geringfügige Änderungen in der Gegenwart mit extremen Auswirkungen in der Zukunft reagierte. Selbst Ereignisse, die Tausende Kilometer voneinander entfernt, in Texas, in China oder in der kleinen Stadt Husum an der Nordsee stattfanden, konnten miteinander verwoben sein.
Diesmal war der Blues noch ausgeprägter als an einem normalen Montag, und daran war Nils Schuld. Nils hatte am Sonntag Geburtstag gehabt und anstatt am Samstag zu feiern, hatte er die Fete auf seinen Geburtstag gelegt. Nils war etwas abergläubisch und der Meinung, dass das Vorfeiern Unglück brächte. Es war sehr spät beziehungsweise sehr früh geworden. Jan war schlecht drauf und tierisch müde. Er hatte alle Mühe, seine Augen offen zu halten und stützte seinen Kopf mit der Hand so ab, dass weder seine Augen noch sein gähnender Mund zu sehen waren. Er hoffte, dass es von außen so aussah, als wenn er angestrengt nachdächte. Aber Lehrer Petersen konnte man nicht so leicht täuschen.
Hätte Jan nur den normalen Montag-Morgen-Blues gehabt, hätte er dem Unterricht noch folgen können, und vielleicht wäre dann alles ganz anders gekommen.
„Hast du Kopfschmerzen, Jan?“, kam es mit einem fürsorglichen, bedauernden Tonfall aus Richtung der Tafel.
„Nein, ich denke nach!“, erwiderte Jan.
„Fein, dann wirst du mir ja meine Frage beantworten können.“
„Könnten Sie die Frage bitte noch etwas präzisieren?“
„Aber gerne. Welche Vorgänge in unserer Sonne sind verantwortlich für die Licht- und Wärmestrahlung, die auf die Erde gelangt? Also, weshalb scheint die Sonne?“
„Ja, das ist ziemlich kompliziert“, antwortete Jan, das Wort „ziemlich“ etwas lang gezogen.
„Du kannst es ruhig ein wenig vereinfacht und für uns alle verständlich formulieren und die Details auslassen.“
Jan hatte den Eindruck, dass die Worte des Lehrers leicht ironisch klangen.
„Ich gebe Ihnen lieber in der nächsten Stunde eine ausführliche, exakte Antwort“, sagte er selbstbewusst. Natürlich wusste er, dass Petersen seinen Ausweichversuch durchschaute.
„Einverstanden, wir freuen uns auf dein Referat“, erwiderte Petersen.
Referat? So war das ja nun nicht gemeint. Manchmal hatte Jan den Verdacht, dass Peter Petersen noch ein bisschen gewitzter und schlauer war als er. Vorsichtshalber verwarf er diese Vermutung direkt wieder. Noch eine weitere Stunde musste sich Jan durch den Physikunterricht quälen. Er hatte sich für das Aufgabenfeld „Natur und Umwelt“ entschieden, das die Profilfächer Biologie, Geographie und Chemie beinhaltete. Dass er zusätzlich Physik als Wahlfach ausgesucht hatte, war offenbar ein Fehler gewesen. Woher kam es nur, dass ihn die Physik so gar nicht interessierte? In Mathematik hatte er überhaupt keine Schwierigkeiten. Vielleicht lag es daran, dass man mit Mathe einiges anfangen konnte. Sogar für die Computerprogramme, die er für die Forschungsprojekte seines Vaters schrieb, brauchte er eine Menge Kenntnisse der linearen Algebra, der Geometrie- und Vektorrechnung. Aber wozu sollte es gut sein zu wissen, warum die Sonne scheint? Sie würde ganz sicher auch dann scheinen, wenn er nicht wusste, weshalb sie das tat.
Natürlich musste sich Jan für die nächste Physikstunde genau mit diesem Thema beschäftigen. Das hatte er seiner Müdigkeit und seiner unbedachten Äußerung zu verdanken. Genau genommen hatte er es Nils zu verdanken.
Draußen sah er Angela auf dem Schulhof. Das brachte ihn auf andere Gedanken, die allerdings nicht so recht in den Lehrplan passten. Noch war sie weit entfernt, aber gleich würde sie direkt an seinem Fenster vorbeigehen. Angela war das Mädchen mit der größten Oberweite der ganzen Schule. Er konnte es nicht lassen, den Kopf nach links zu drehen, um vielleicht zu sehen, ob Angela heute einen BH trug oder nicht. Ausgerechnet im ungünstigsten Moment gab eine Wolke die Sonne frei. Sie schien ihm direkt in die Augen. Gar nichts konnte er jetzt erkennen. „So ein Mist“, dachte er.
„Zieh den Vorhang zu, wenn dich die
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