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Das Echo der Traeume

Das Echo der Traeume

Titel: Das Echo der Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Duenas
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Steins, wo wir so viele Stunden damit verbracht hatten, eine gemeinsame Zukunft zu planen, die es nun nicht mehr geben würde.
    » Du hast einen anderen, stimmt’s?«, fragte er, als ich mich neben ihn setzte. Er sah mich nicht an, sondern hielt den Blick auf den Boden gerichtet, auf die staubige Erde, die er mit einer Schuhspitze hin und her schob.
    Ich nickte. Ein entschiedenes, wenn auch stummes Ja. » Wer ist es?«, wollte er wissen. Ich sagte es ihm. Um uns herum ging das Leben geräuschvoll weiter wie zuvor: Kinder lärmten, Hunde bellten, Fahrradfahrer klingelten, die Glocken von San Andrés riefen zur letzten Messe, die Räder der Fuhrwerke polterten über das Pflaster, die müden Maultiere waren auf dem Weg zum Stall. Es dauerte eine Weile, bis Ignacio wieder etwas sagte. Er spürte wohl eine derartige Entschlossenheit, eine derartige Sicherheit hinter meiner Entscheidung, dass er sich nicht einmal seine Bestürzung anmerken ließ. Er dramatisierte nichts, er verlangte keine Erklärung. Er machte mir weder Vorwürfe noch bat er mich, meine Gefühle noch einmal zu überprüfen. Er sagte nur noch einen einzigen Satz, langsam, als müsste er ihn sich Wort für Wort abringen.
    » Er wird dich niemals so lieben wie ich.«
    Dann stand er auf, nahm die Schreibmaschine und ging damit fort. Ich sah ihm nach, wie er sich im trüben Licht der Straßenlaternen entfernte. Vielleicht musste er sich sehr zusammennehmen, um sie nicht auf dem Boden zu zerschmettern.
    Ich blickte ihm nach, wie er von meiner Plaza fortging, bis seine Gestalt sich in der Ferne verlor, bis ich ihn an dem früh hereinbrechenden Herbstabend nicht mehr sehen konnte. Und ich wäre gerne noch eine Weile sitzen geblieben, um über sein Fortgehen zu weinen, diesen kurzen und traurigen Abschied zu beklagen, um mir Vorwürfe zu machen, dass ich unsere hoffnungsvollen Zukunftspläne zerstört hatte. Doch ich konnte es nicht. Ich vergoss keine einzige Träne und machte mir auch nicht die geringsten Vorwürfe. Kaum eine Minute nachdem er aufgestanden war, erhob auch ich mich von der Bank und ging. Ich ließ mein Viertel hinter mir, meine Familie, meine kleine Welt – für immer. Zurück blieb meine ganze Vergangenheit, während ich mich auf den Weg in einen neuen Abschnitt meines Lebens machte. Eines Lebens, das ich mir strahlend hell vorstellte und von dem ich mir vorerst nicht mehr erwartete, als selig in Ramiros Armen zu liegen.

3
    Mit Ramiro lernte ich ein anderes Leben kennen. Ich löste mich von meiner Mutter und erfuhr, wie es ist, mit einem Mann zusammenzuleben und ein Dienstmädchen zu haben. Wie es ist, von dem Wunsch beseelt zu sein, ihm jederzeit zu gefallen, und kein anderes Ziel zu kennen, als ihn glücklich zu machen. Und ich lernte ein anderes Madrid kennen: das der eleganten Lokale und angesagten Clubs, der Varietés und Restaurants. Das Madrider Nachtleben. Cocktails im Negresco, in der Granja del Henar, im Bakanik. Filmpremieren im Real Cinema mit Kinoorgel, Mary Pickford auf der Leinwand, während Ramiro mir Pralinen in den Mund schob und ich mit meinen Lippen seine Fingerkuppen leicht berührte, nahe daran, vor Liebe zu vergehen. Die Flamenco-Tänzerin Carmen Amaya im Teatro Fontalba, die Sängerin Raquel Meller im Maravillas. Flamenco in der Villa Rosa, Kabarett im Palacio del Hielo. Es war ein brodelndes und lärmendes Madrid, durch das Ramiro und ich uns bewegten, als gäbe es kein Gestern und kein Morgen. Als müssten wir die ganze Welt in einem Atemzug auskosten, für den Fall, dass die Zukunft vielleicht nie käme.
    Was hatte Ramiro, was gab er mir, dass ich innerhalb weniger Wochen mein Leben völlig auf den Kopf stellte? Auch heute, so viele Jahre später, kann ich, ohne lange nachzudenken, alles aufzählen, was mich an ihm faszinierte. Und ich bin felsenfest davon überzeugt: Wenn ich hundertmal geboren worden wäre, hätte ich mich hundertmal genauso in ihn verliebt, wie ich es damals tat. Ramiro Arribas, unwiderstehlich, weltgewandt, zum Umfallen schön. Sein kastanienfarbenes, sorgfältig nach hinten gekämmtes Haar, sein durch und durch maskulines Auftreten, sein nie versiegender Optimismus und seine Selbstsicherheit, die er vierundzwanzig Stunden am Tag sieben Tage die Woche ausstrahlte. Einfallsreich und sinnlich, den politischen Turbulenzen jener Zeit gegenüber gleichgültig, als wäre sein Königreich nicht von dieser Welt. Mit vielen befreundet, ohne sich ernsthaft für einen zu interessieren, Erbauer prächtiger

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