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Das Echo der Traeume

Das Echo der Traeume

Titel: Das Echo der Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Duenas
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keine Antwort auf seine Fragen: Ich wusste nicht, warum ich beschlossen hatte, lieber nichts zu wissen. Ich hatte mich an die Anweisungen gehalten, mich diszipliniert gezeigt. Man hatte mich angewiesen, ein bestimmtes Umfeld nicht zu verlassen, und ich hatte mich daran gehalten. Ich hatte mich bemüht, das andere Madrid, das echte, authentische, nicht zu sehen. Ich hatte mich ganz auf einen idyllischen Stadtbezirk beschränkt und mich gezwungen, das andere Gesicht der Hauptstadt nicht wahrzunehmen: die Straßen voller Granattrichter, die Einschläge von Kugeln an den Gebäuden, die Fenster ohne Glasscheiben und die Brunnen ohne Wasser. Ich wandte den Blick lieber ab, wenn ich ganze Familien im Abfall herumstochern sah auf der Suche nach Kartoffelschalen, schwarz gekleidete Frauen mit Säuglingen an der leeren Brust. Nicht einmal von den Schwärmen schmutzstarrender, barfüßiger Kinder ließ ich mich berühren, die sich um sie scharten, die Gesichter von Rotz verschmiert, die Haare kurz geschoren, die kleinen Köpfe voller blutigem Schorf. Sie zerrten die Passanten am Ärmel und flehten: » Eine milde Gabe, Señor, ein Almosen, um Ihr Liebstes willen, Señorita, eine kleine Gabe, Gott möge es Ihnen vergelten.« Ich war eine ausgezeichnete und gehorsame Agentin des britischen Geheimdienstes. Überaus gehorsam. Ekelhaft gehorsam. Ich hielt mich sklavisch genau an die mir gegebenen Anweisungen: Weder kehrte ich in mein altes Wohnviertel zurück noch setzte ich einen Fuß in die Straßen der Vergangenheit. Ich wollte nicht wissen, wie es meinen Leuten, meinen Freundinnen aus Kindertagen ergangen war. Ich suchte nicht meine alte Plaza auf, ging nicht in meine alte Straße, stieg nicht die Treppe zu unserer früheren Wohnung hinauf. Ich klopfte nicht an der Tür meiner Nachbarn, wollte nicht wissen, wie es ihnen ging, was im Krieg und danach mit ihren Familien geschehen war. Ich versuchte nicht zu erfahren, wie viele von ihnen gestorben waren, wie viele im Gefängnis saßen, wie diejenigen, die überlebt hatten, sich durchschlugen. Es interessierte mich weder, mit welchen halb verfaulten Abfällen sie ihren Kochtopf füllten, noch ob ihre Kinder unterernährt und schwindsüchtig waren, ob sie Schuhe hatten oder nicht. Ich kümmerte mich nicht darum, ob sie ein elendes Leben im vergeblichen Kampf gegen Läuse und Frostbeulen führten. Ich gehörte bereits zu einer anderen Welt: der Welt der internationalen Verschwörungen, der Grandhotels, der luxuriösen Schönheitssalons und der Cocktails zur blauen Stunde. Sie hatte nichts mehr mit mir zu tun, jene rattengraue Welt des Elends, die nach Urin und verkochtem Gemüse stank. Zumindest dachte ich das.
    » Du weißt nichts von ihnen, stimmt’s?«, setzte Ignacio langsam hinzu. » Dann hör gut zu, denn ich erzähle es dir jetzt. Dein Nachbar Norberto ist in Brunete gefallen, sein ältester Sohn ist gleich nach dem Einmarsch unserer nationalen Truppen in Madrid erschossen worden, obwohl er für die andere Seite an Razzien teilgenommen hat, wie die Leute sagen. Der mittlere schuftet als Zwangsarbeiter in Cuelgamuros, und der Kleine sitzt im Gefängnis von El Dueso. Er hat sich mit den Kommunisten eingelassen und wird wahrscheinlich eine ganze Weile nicht freikommen, wenn sie ihn nicht gleich irgendwann erschießen. Die Mutter, Señora Engracia, die sich um dich gekümmert hat wie um ihre eigene Tochter, als du noch klein warst und deine Mutter arbeiten ging, steht jetzt allein da: Sie ist halb blind und läuft durch die Straßen, als wäre sie geistig verwirrt, wühlt mit einem Stecken in allem herum, was sie findet. In deinem alten Viertel gibt es heute weder Tauben noch Katzen, sie sind alle im Kochtopf gelandet. Willst du wissen, was aus den Freundinnen geworden ist, mit denen du auf der Plaza de la Paja gespielt hast? Auch das kann ich dir erzählen. Andreita hat eine Granate zerfetzt, als sie eines Nachmittags auf dem Weg von der Arbeit die Calle Fuencarral überqueren wollte …«
    » Ich will nichts mehr hören, Ignacio, ich kann es mir schon vorstellen«, unterbrach ich ihn und bemühte mich, meine Bestürzung zu verbergen. Offenbar hörte er meinen Einwurf nicht, denn er fuhr fort mit seinen Schreckensgeschichten.
    » Und Sole, dem Mädchen vom Milchladen, du weißt schon, hat ein Milizionär Zwillinge angehängt, dann ist er verschwunden und hat ihr nicht einmal seinen Nachnamen dagelassen. Da sie nicht für die Kinder sorgen konnte – wie hätte sie die Kleinen auch

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