Das Echo der Traeume
ernähren sollen? –, kamen sie ins Findelhaus und man hat nie wieder etwas von ihnen gehört. Die Leute sagen, Sole bietet sich jetzt den Arbeitern an, die auf dem Mercado de la Cebada die Waren abladen, und verlangt eine Pesete für jedes Mal. Sie macht es gleich dort, an die Ziegelmauer gedrückt, und man sagt, sie läuft dort ohne Schlüpfer herum und hebt den Rock, sobald am frühen Morgen die ersten Kleinlaster eintreffen.«
Mir liefen Tränen über die Wangen.
» Sei still, Ignacio, sei endlich still, um Himmels willen«, flüsterte ich. Er beachtete mich nicht.
» Agustina und Nati, die Töchter vom Geflügelhändler, sind Krankenschwestern geworden und haben den ganzen Krieg über im Hospital San Carlos gearbeitet. Als alles vorbei war, haben sie die beiden zu Hause mit einem Lieferwagen abgeholt, und seitdem sitzen sie im Gefängnis. Sie haben sie vor Gericht gestellt und zu dreißig Jahren und einem Tag Haft verurteilt. Trini, die Bäckersfrau …«
» Sei still, Ignacio, lass es gut sein …«, flehte ich ihn an.
Da endlich hörte er auf.
» Ich könnte dir noch viele Geschichten erzählen, ich kenne fast alle. Tagtäglich kommen Leute zu mir, die uns von damals kennen, alle mit der gleichen Leier: › Ich habe einmal mit Ihnen gesprochen, Don Ignacio, als Sie mit der Sirita gegangen sind, der Tochter von Señora Dolores, der Schneiderin, die in der Calle de la Redondilla gewohnt hat …‹«
» Was wollen sie von dir?«, brachte ich unter Tränen heraus.
» Sie wollen alle das Gleiche: dass ich ihnen helfe, einen Angehörigen aus dem Gefängnis zu holen, dass ich mit Hilfe meiner Kontakte jemanden vor der Todesstrafe bewahre, dass ich ihnen irgendeine Arbeit beschaffe, so verachtenswert sie auch sein möge … Du kannst dir nicht vorstellen, wie es tagtäglich bei uns in der Abteilung zugeht. In den Vorzimmern, auf den Gängen und Treppen, überall drängen sich den ganzen Tag über verzagte Menschen, die darauf warten, dass man sich um sie kümmert, die bereit sind, alles zu ertragen, nur um ein kleines bisschen von dem zu erlangen, weshalb sie gekommen sind: dass ihnen jemand zuhört, sie empfängt, ihnen einen Hinweis auf den Verbleib eines geliebten Menschen gibt, ihnen erklärt, an wen sie ein Gesuch um Freilassung eines Verwandten richten müssen … Es kommen vor allem Frauen, sehr viele Frauen. Sie haben nichts zu beißen, stehen nun allein da mit ihren Kindern und wissen nicht, wie sie die Kleinen durchbringen sollen.«
» Und, kannst du etwas für sie tun?«, fragte ich und versuchte, mich trotz meiner Angst zusammenzunehmen.
» Wenig. Fast nichts. Für Delikte in Zusammenhang mit dem Krieg sind die Militärgerichte zuständig. Zu mir kommen sie in letzter Verzweiflung, genauso wie sie jeden beliebigen Bekannten bedrängen, der in der Verwaltung arbeitet.«
» Aber du bist von der Regierung …«
» Ich bin nur ein kleiner Beamter ohne den geringsten Einfluss, ein kleines Rad im großen Räderwerk«, unterbrach er mich. » Ich kann nicht mehr tun, als mir ihre Leidensgeschichten anzuhören, ihnen zu sagen, wohin sie sich wenden müssen, sofern ich es weiß, und ihnen ein paar Peseten zu geben, wenn ich sehe, dass sie nicht mehr weiterwissen. Ich bin nicht einmal Mitglied der Falange: Ich habe nur den Krieg dort mitgemacht, wo er mich überrascht hat, und das Schicksal wollte, dass ich am Ende auf der Seite der Sieger stand. Deshalb bin ich wieder im Ministerium eingestellt worden, und ich führe die Aufgaben aus, die sie mir übertragen. Aber ich gehöre zu keiner Partei, ich habe viel zu viele entsetzliche Dinge gesehen und vor keinem mehr Respekt. Daher befolge ich einfach Befehle, denn damit verdiene ich mir mein Essen. Ich halte den Mund, ziehe den Kopf ein und rackere mich ab, damit ich meine Familie durchbringe, das ist alles.«
» Ich wusste nicht, dass du Familie hast«, sagte ich, während ich mir mit dem Taschentuch, das er mir gereicht hatte, die Augen abwischte.
» Ich habe in Salamanca geheiratet, und als der Krieg vorbei war, sind wir nach Madrid gekommen. Ich habe eine Frau, zwei kleine Kinder und ein Heim, wo am Ende des Tages, mag er auch noch so hart und widerwärtig gewesen sein, wenigstens jemand auf mich wartet. Natürlich lässt sich unsere Wohnung nicht mit dieser vergleichen, aber dort spendet immer ein Kohlenbecken Wärme und lachende Kinder tollen auf dem Flur. Meine Söhne heißen Ignacio und Miguel, meine Frau Amalia. Ich habe sie nie so sehr geliebt
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