Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Echo der Traeume

Das Echo der Traeume

Titel: Das Echo der Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Duenas
Vom Netzwerk:
wie dich, und sie wackelt auch nicht so hübsch mit dem Hintern, wenn sie die Straße entlanggeht. Und ich habe sie niemals nur ein Viertel so begehrt, wie ich dich heute Abend begehrt habe, als du meine Hand in deinen Händen gehalten hast. Aber sie macht trotz aller Schwierigkeiten immer ein freundliches Gesicht, und sie singt, wenn sie in der Küche aus dem Wenigen, das es gibt, etwas Essbares für uns zubereitet. Und sie nimmt mich in den Arm, wenn mich mitten in der Nacht die Albträume quälen, wenn ich schreie und weine, weil ich im Traum wieder an der Front bin und denke, sie bringen mich um.«
    » Das tut mir leid, Ignacio«, sagte ich mit dünner Stimme. Ich konnte kaum sprechen vor lauter Tränen.
    » Kann sein, dass ich ein Konformist bin, ein mittelmäßiger Typ, hündisch ergebener Diener eines revanchistischen Staates«, fügte er hinzu und sah mich dabei mit festem Blick an, » aber dir steht es schon gar nicht zu, mir zu sagen, ob dir der Mann, zu dem ich geworden bin, gefällt oder nicht. Du hast mir keine Lektionen in Sachen Moral zu erteilen, Sira, denn wenn ich ein schlechter Mensch bin, dann bist du noch schlechter. Ich habe wenigstens noch einen Funken Mitgefühl im Leib, du, glaube ich, nicht einmal das. Du bist nichts weiter als eine elende Egoistin, die in einer riesigen Wohnung logiert, in der in jeder Ecke die Einsamkeit lauert, ein entwurzelter Mensch, der seine Herkunft verleugnet und an niemanden denkt außer an sich selbst.«
    Ich wollte ihn anschreien, er solle still sein, mich in Ruhe lassen und für immer aus meinem Leben verschwinden, doch ehe ich ein Wort herausbekam, brach ich in Tränen aus und wurde von heftigem Schluchzen geschüttelt, als wäre etwas zerrissen in mir. Ich weinte, die Hände vors Gesicht geschlagen, untröstlich, ohne Ende. Als ich mich endlich beruhigen und wieder in die Realität zurückkehren konnte, war es schon nach Mitternacht und Ignacio inzwischen fort. Er war gegangen, ohne ein Geräusch zu machen, mit derselben Zurückhaltung, mit der er mich immer behandelt hatte. Geblieben waren mir die Angst und die Unruhe, die sein Besuch ausgelöst hatte, als klebten sie mir auf der Haut. Ich wusste nicht, welche Folgen sein Besuch haben würde, und ebenso wenig, was mit Arish Agoriuq von nun an werden würde. Vielleicht erbarmte sich der Ignacio von früher der Frau, die er einmal so sehr geliebt hatte, und ließ sie ihren Lebensweg in Frieden weitergehen. Vielleicht aber entschied er als pflichtbewusster Beamter des Neuen Spaniens, seine Vorgesetzten über meine falsche Identität zu informieren. Vielleicht würde ich – wie er selbst gedroht hatte – am Ende im Gefängnis landen. Oder ausgewiesen werden. Oder einfach verschwinden.
    Auf dem Tisch stand noch die Pralinenschachtel, die weit weniger unschuldig war, als sie aussah. Ich öffnete sie mit einer Hand, während ich mir mit der anderen die letzten Tränen abwischte. Zwei Dutzend Pralinen aus Milchschokolade, mehr fand ich nicht darin. Daraufhin kontrollierte ich das Einwickelpapier und das rosafarbene Band, auf dem ich schließlich eine ganz fein gestichelte, fast nicht sichtbare Nachricht fand. In weniger als drei Minuten hatte ich sie entschlüsselt. » Treffen dringend. Praxis Doktor Rico. Caracas 29. Elf Uhr Vormittag. Äußerste Vorsicht.«
    Neben der Pralinenschachtel stand noch das Glas mit dem Cognac, den ich Ignacio einige Stunden zuvor eingeschenkt hatte. Unberührt. Wie er selbst gesagt hatte: Keiner von uns beiden war mehr der Mensch, der er früher einmal gewesen war. Doch obwohl sich in unser aller Leben das Unterste zuoberst gekehrt hatte, trank Ignacio noch immer keinen Alkohol.

VIERTER TEIL

44
    Mehrere Hundert gut gekleideter Menschen, die zuvor noch besser gespeist hatten, begrüßten zu den Klängen eines kubanischen Orchesters im Bankettsaal des Madrider Casinos das Jahr 1941. Unter ihnen auch ich.
    Ursprünglich hatte ich den Abend alleine verbringen wollen. Vielleicht hätte ich Doña Manuela und die Mädchen zu Hühnchen und einer Flasche Cidre eingeladen, doch zwei Kundinnen, die Schwestern Álvarez-Vicuña, ließen einfach nicht locker und nötigten mich dazu, meine Pläne über den Haufen zu werfen. Obwohl ich über die Einladung nicht sonderlich erfreut war, machte ich mich für den Abend sorgfältig zurecht: Im Salon hatte man mir einen Chignon gesteckt. Nun betonte ich meine Augen mit marokkanischem Khol, um meinem Blick das exotische Flair des entwurzelten Geschöpfs zu

Weitere Kostenlose Bücher