Das Echo der Traeume
noch immer im Schlafzimmerschrank unter der Unterwäsche versteckt. Mir wurden die Knie weich bei dem Gedanken, dass er auf die Idee kommen könnte, diese Schublade zu öffnen, und die Briefe finden würde. Ich beobachtete ihn nervös, als er mein Schlafzimmer betrat und sich in aller Ruhe umsah. Er blätterte scheinbar interessiert in dem Roman herum, der auf dem Nachttisch lag, und legte ihn dann wieder zurück. Er fuhr mit den Fingern über das Fußteil des Bettes, nahm eine Haarbürste vom Frisiertisch und blickte kurz vom Balkon auf die Straße. Meine Hoffnung, dass sein Besuch damit beendet wäre, erfüllte sich nicht. Was ich am meisten fürchtete, stand noch aus. Er öffnete eine Seite des Schranks, die, in der ich Mäntel und Jacken aufbewahrte. Er befühlte den Ärmel einer Winterjacke, bei einer anderen den Gürtel, schloss die Tür wieder. Dann öffnete er die zweite Schranktür, hinter der sich die Schubladen befanden, und ich hielt den Atem an. Er zog die erste auf: Taschentücher. Er hob eines an einer Ecke hoch, dann ein anderes, dann ein drittes. Und schob die Lade wieder zu. Dann zog er die zweite Schublade auf, und ich schluckte: Strümpfe. Er schob sie zu. Als er sich anschickte, die dritte Schublade herauszuziehen, hatte ich das Gefühl, der Boden unter mir würde zu schwanken beginnen. Dort, unter der Seidenwäsche, lagen die Briefe, in denen ausführlich und in erster Person die Umstände der skandalösen Amtsenthebung des Ministers beschrieben wurden, von der gegenwärtig ganz Spanien sprach.
» Ich finde, jetzt gehst du zu weit, Ignacio«, brachte ich mit Mühe heraus.
Seine Finger verharrten ein paar Sekunden länger über dem Griff der Schublade, als überlege er, was er tun solle. Es überlief mich heiß und kalt, mein Mund war wie ausgedörrt. Das würde mein Ende sein. Doch er zog seine Hand zurück, sagte nur: » Machen wir weiter«, und schloss die Schranktür wieder. Ich musste mich sehr zusammennehmen, um nicht vor Erleichterung in Tränen auszubrechen. Ich versuchte, mir möglichst nichts anmerken zu lassen, und spielte notgedrungen weiter die Rolle der Fremdenführerin. Er sah die Badewanne, in der ich mich entspannte, und den Tisch, an dem ich meine Mahlzeiten einnahm, die Speisekammer mit den Vorräten an Lebensmitteln, das große Becken, in dem die Mädchen die Wäsche wuschen. Vielleicht hatte er die Durchsuchung meines Schlafzimmers aus Respekt vor mir abgebrochen, vielleicht einfach aus Schamgefühl oder weil seine Arbeitsvorschriften Grenzen vorsahen, die er nicht zu überschreiten wagte, ich habe es nie erfahren. Wir kehrten schweigend in den Salon zurück, und ich dankte dem Himmel, dass die Hausdurchsuchung nicht gründlicher ausgefallen war.
Er setzte sich auf denselben Platz wie zuvor, ich mich ihm gegenüber.
» Ist alles in Ordnung?«
» Nein«, entgegnete er rundheraus. » Nichts ist in Ordnung, nichts.«
Ich schloss die Augen, machte sie fest zu und öffnete sie dann wieder.
» Was stimmt denn nicht?«
» Nichts stimmt, nichts ist, wie es sein sollte.«
Plötzlich meinte ich einen Hoffnungsschimmer zu sehen.
» Was dachtest du denn, dass du finden würdest, Ignacio? Was wolltest du finden, das du nicht gefunden hast?«
Er gab keine Antwort.
» Du hast gedacht, das alles ist nur Fassade, stimmt’s?«
Erneut gab er mir keine Antwort, aber er nahm gewissermaßen die Zügel wieder in die Hand.
» Ich weiß nur zu gut, wer dieses Szenario inszeniert hat.«
» Dieses Szenario, wie meinst du das?«, hakte ich nach.
» Diese Farce von Modeatelier.«
» Das ist keine Farce, hier wird hart gearbeitet. Ich schneidere jeden Tag über zehn Stunden, sieben Tage in der Woche.«
» Das bezweifle ich«, entgegnete er scharf.
Ich stand auf und ging zu ihm hin, setzte mich auf eine der Lehnen und nahm seine rechte Hand. Er sträubte sich nicht dagegen, sah mich auch nicht an. Dann strich ich mit seinen Fingern erst über meine rechte, dann über meine linke Handfläche, über meine Finger, langsam, damit er jeden Millimeter meiner Haut spürte. Ich wollte ihm nur zeigen, welche Spuren meine Arbeit – die Scheren, die Nadeln und die Fingerhüte – im Laufe der Jahre hinterlassen hatte, die Hornhaut an den Fingerkuppen, die verhärteten Stellen an den Innenflächen. Ich spürte, wie er bei meiner leisen Berührung erschauderte.
» Das sind die Hände einer arbeitenden Frau, Ignacio. Ich kann mir schon denken, wofür du mich hältst und welches Gewerbe ich deiner
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