Das Echo der Traeume
gesagt, dass du so geschickte Finger hast, Herzchen?«
Zwei neue Röcke, drei Blusen, ein Hemdblusenkleid, zwei Kostüme, ein Mantel und ein warmer Morgenmantel hingen schon bald in ihrem Kleiderschrank. Unterdessen brachte sie von unterwegs Nachschub an Stoffen mit, den sie möglichst günstig erstand.
» Chinesische Seide, fass mal an! Zwei amerikanische Feuerzeuge hat mir der Inder unten vom Gemischtwarenladen dafür abgeluchst, dieser Fuchs! Zum Glück habe ich noch ein paar vom letzten Jahr, denn der Mistkerl lässt sich nur noch mit marokkanischem Geld, mit duros hassani bezahlen. Die Leute sagen, dass die spanische Währung der Republikaner durch die der Nationalisten abgelöst werden soll. Was für ein Irrsinn, Mädchen«, erzählte sie mir aufgeregt, während sie ein Paket öffnete und vor meinen Augen ein paar Meter feuerroten Stoff ausbreitete.
Das Ergebnis ihres nächsten Beutezuges war ein halber Ballen Gabardine von guter Qualität. Ein perlmuttfarbener Satinstoffrest kam am nächsten Tag dazu, zusammen mit der Geschichte, wie sie an die Ware gekommen war inklusive der wenig schmeichelhaften Verwünschungen für den Juden, der ihr den Stoff beschafft hatte. Außerdem ein Rest dünnen karamellfarbenen Wollstoffs, ein Stück aus Alpakagarn, sieben Ellen bedruckten Satins, und so hatten wir mit Tauschgeschäften und Geschacher bald fast das Dutzend an verschiedenen Stoffen komplett, die ich zuschnitt und nähte und sie anprobierte und lobte. Bis ihr kein Stoff mehr einfiel, den sie noch hätte besorgen können, oder bis sie schließlich davon überzeugt war, dass sie nun eine wirklich gut sortierte neue Garderobe besaß, oder bis sie beschloss, dass sie sich zur Abwechslung mal wieder mit etwas anderem beschäftigen sollte.
» Mit all den Sachen, die du für mich genäht hast, sind deine Schulden bei mir bis zum heutigen Tag beglichen«, verkündete sie. Ohne mir auch nur eine Sekunde Zeit zu lassen, meine Erleichterung darüber auszukosten, fuhr sie fort: » Und nun lass uns über deine Zukunft reden. Du hast großes Talent, Mädchen, und das sollte man nicht verschwenden, und schon gar nicht, wenn man wie du dringend Kohle braucht, um aus seinem Schlamassel herauszukommen. Du hast ja gemerkt, dass es nicht leicht ist, eine Anstellung zu finden. Deshalb würde ich es am besten finden, wenn du auf Bestellung nähst. Aber so wie die Dinge stehen, fürchte ich, wirst du nicht von Haus zu Haus ziehen können, um deine Dienste anzubieten. Du müsstest einen festen Ort haben, dein eigenes Geschäft aufmachen, und selbst dann wirst du nicht leicht Kundschaft finden. Das will alles gut überlegt sein.«
Candelaria die Schmugglerin kannte nun wirklich Gott und die Welt in Tetuán, doch um sich ein Bild von der örtlichen Schneiderkunst machen zu können, musste sie mehrmals losziehen, redete hier und da mit dem einen oder anderen, erstellte sozusagen eine Fallstudie. Schon ein paar Tage nachdem unsere Idee entstanden war, verfügten wir über eine hundertprozentig zuverlässige Analyse der Lage. Nun wusste ich, dass es hier zwei oder drei traditionsreiche und stadtbekannte Schneiderinnen gab, zu denen für gewöhnlich die Ehefrauen und die Töchter der Offiziere, einiger angesehener Ärzte und solventer Unternehmer gingen. Eine Stufe darunter standen vier oder fünf Schneiderinnen, die Straßenanzüge für das besser gestellte Verwaltungspersonal und Sonntagsmäntel für die Familienmütter fertigten. Und dann gab es noch eine Handvoll unbedeutender Näherinnen, die von Haus zu Haus gingen und ihre Dienste anboten. Sie erledigten, was gerade anfiel, nähten Morgenmäntel aus Perkal oder geerbte Kleidung um, fingen Laufmaschen auf oder stopften Strümpfe. Die Aussichten waren also nicht gerade rosig. Es gab viel Konkurrenz, doch irgendwie musste ich eine Nische für mich finden. Auch wenn meine Hauswirtin meinte, dass keine von ihnen mir das Wasser reichen könne, dürfe man nicht unterschätzen, dass der Großteil von ihnen quasi irgendwie zum Haushalt, ja, zur Familie gehöre. Wenn sie ihre Sache gut machten, war es durchaus möglich, dass man ihnen bis zum Tode die Treue hielt.
Der Gedanke, wieder berufstätig zu werden, löste gemischte Gefühle in mir aus. Einerseits verspürte ich zum ersten Mal seit einer Ewigkeit wieder so etwas wie Hoffnung. Ich konnte Geld für meinen Lebensunterhalt verdienen und meine Schulden begleichen, und zwar mit einer Tätigkeit, die mir viel Freude bereitete und in der ich
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