Das Echo der Traeume
Seinen in der Heimat, beunruhigt wegen des Vorrückens der Truppen an der Front, in Angst um die Lebenden, die Toten, die Zukunft. Unter solchen Umständen war kaum jemand daran interessiert, sein Geschäft auszubauen oder neues Personal einzustellen. Und obwohl wir jeden unserer Ausflüge mit einem Glas Minztee und einem Tablett voller Fleischspießchen in irgendeinem kleinen Café an der Plaza de España beendeten, packte jeder weitere vergebliche Versuch eine neue Schicht Angst auf meine bereits vorhandene und versetzte Candelaria, auch wenn sie es nicht sagte, ein weiteres Mal in Sorge.
Mein Gesundheitszustand besserte sich im gleichen Maß wie der meiner Seele – im Schneckentempo. Die Erkrankung steckte mir noch in den Knochen, und der fahle Ton meiner Haut stand im krassen Gegensatz zu den durch die Sommersonne gebräunten Gesichtern meiner Umgebung. Meine Sinne schienen wie gelähmt, meine Seele war müde. Ich spürte den Einschnitt, den Ramiros Weggang verursacht hatte, beinahe genauso wie am ersten Tag. Ich sehnte mich noch immer nach dem Kind, von dessen Existenz ich nur wenige Stunden gewusst hatte, und mich quälte die Sorge um meine Mutter und was aus ihr im besetzten Madrid wohl werden würde. Die Anzeigen, die gegen mich im Umlauf waren, hatten ihren Schrecken genauso wenig verloren wie Don Claudios Warnungen, und mich ängstigte die Vorstellung, die offenen Schulden nicht begleichen zu können und schließlich im Gefängnis zu enden. Die Angst war mein ständiger Begleiter geworden, und meine seelischen Verletzungen brannten weiterhin vor Zorn.
Zu den Auswirkungen einer verrückten und verblendeten Verliebtheit gehört, dass man vollkommen blind ist für das, was um einen her geschieht. Sie kappt die Sensibilität, die Fähigkeit, etwas wahrzunehmen. Sie zwingt dich, deine ganze Aufmerksamkeit auf ein einziges Wesen zu konzentrieren, so sehr, dass du dich vom Rest der Welt isolierst, dich in einen Kokon zurückziehst und zu allen anderen Geschehnissen Abstand hältst, obwohl sie keine zwei Handbreit von deinem Gesicht entfernt vor sich gehen. Erst als alles aufflog, merkte ich, dass die acht Monate, die ich mit Ramiro zusammen verbracht hatte, derart intensiv gewesen waren, dass ich kaum zu jemand anderem engeren Kontakt gehabt hatte. Erst da wurde mir das Ausmaß meiner Einsamkeit so richtig bewusst. In Tanger hatte ich mir nicht die Mühe gemacht, überhaupt andere Menschen besser kennenzulernen: Außer Ramiro interessierte mich niemand. In Tetuán jedoch war er nicht mehr da, und mit ihm war meine einzige Bezugsperson verschwunden. Nun musste ich lernen, allein zu leben, an mich zu denken und zu kämpfen, damit seine Abwesenheit mich nach und nach weniger mitnahm. Wie hieß es doch gleich in der Broschüre der Academia Pitman? » Lang und steil ist der Weg des Lebens.«
Der August ging vorüber, und es kam der September mit seinen kürzeren Nachmittagen und den kühleren Morgenstunden. Über dem geschäftigen Treiben auf der Calle Luneta verstrichen die Tage gemächlich. Die Menschen betraten und verließen die Geschäfte und die Cafés, blieben vor Schaufenstern stehen und plauderten an der Ecke mit Bekannten. Während ich von meinem Aussichtsplatz den Wechsel des Lichts und das emsige Treiben verfolgte, war ich mir vollkommen im Klaren darüber, dass auch ich dringend allmählich in Gang kommen, einer produktiven Tätigkeit nachgehen musste, um nicht länger auf Candelarias Wohltätigkeit angewiesen zu sein und endlich Geld zur Begleichung meiner Schulden beiseitelegen zu können. Ich wusste jedoch noch immer nicht, wie ich das anstellen sollte. Als Ausgleich für meine Untätigkeit bemühte ich mich, wenigstens bei der Hausarbeit mitzuhelfen, damit ich nicht nur Platz wegnahm wie ein ausrangiertes Möbelstück. Ich schälte Kartoffeln, deckte den Tisch und hängte die Wäsche auf der Dachterrasse auf. Ich half Jamila beim Staubwischen und beim Fensterputzen, lernte von ihr ein paar Worte Arabisch und ließ mich von ihrem ständigen Lächeln anstecken. Ich goss die Blumen, klopfte die Teppiche aus und erledigte kleine Besorgungen, die früher oder später angefallen wären. Mit den veränderten Temperaturen begann man in der Pension, sich auf den Herbst einzustellen, und ich half mit. In jedem der Zimmer wurden die Betten ausgewechselt; wir zogen die Laken und die Sommerdecken ab und holten die Winterbetten vom Zwischenboden. Bei der Gelegenheit fiel mir auf, dass ein Teil der Bettwäsche
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