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Das Echo der Traeume

Das Echo der Traeume

Titel: Das Echo der Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Duenas
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sich dieses Mal nicht. Das Mittagessen ging ohne größere Zwischenfälle zu Ende. Doch schon zum Abendessen begann das Ganze von vorn. Da gab es als Aperitif schon wieder ironische Bemerkungen und doppeldeutige Witze, giftige Kommentare, Gotteslästerungen auf der einen und hastig geschlagene Kreuzzeichen auf der anderen Seite, schließlich gnadenlose Beleidigungen, und harte Brotstückchen flogen dem Gegner ins Gesicht, sollten sein Auge treffen. Und zum Schluss wieder die von Candelaria mit lauter Stimme verkündete Drohung, die Pensionsgäste auf der Stelle hinauszuwerfen, falls die beiden Parteien nicht aufhörten, sich über den Tisch hinweg zu bekriegen. Ich fand heraus, dass dies der normale Ablauf der drei Mahlzeiten in der Pension war, an dem einen Tag wie an dem anderen. Dennoch kam es nie so weit, dass die Hauswirtin auch nur einem einzigen ihrer Gäste den Stuhl vor die Tür setzte, obwohl diese stets zu neuen Gefechten bereit waren und mit spitzer Zunge treffsicher und erbarmungslos auf die gegnerische Seite feuerten. Es lief damals nicht so gut im Leben der Schmugglerin – die Geschäfte gingen schlecht –, dass sie freiwillig auf das verzichtet hätte, was jeder einzelne der armen Teufel ohne Obdach und feste Arbeit für Essen, Übernachtung und den Anspruch auf ein wöchentliches Bad bezahlte. Und so gab es trotz ihrer Drohungen kaum einen Tag, an dem nicht Schmähungen von einer Tischseite auf die andere flogen, Olivenkerne, politische Parolen, Bananenschalen und, in den hitzigsten Augenblicken, der eine oder andere Batzen Spucke und mehr als eine Gabel. Ganz wie im richtigen Leben, nur auf häuslicher Ebene.

8
    Und so verging die erste Zeit in der Pension in der Calle Luneta unter diesen Menschen, von denen ich nie viel mehr wusste als ihre Taufnamen und – sozusagen als Dreingabe – die Gründe, die sie hierhergeführt hatten. Der Lehrer und der Beamte, beide Junggesellen und schon sehr alt, wohnten am längsten hier. Die Schwestern waren Mitte Juli aus Soria angereist, um einen Verwandten zu beerdigen, und konnten wegen der Sperrung der Meerenge für den Schiffsverkehr nicht nach Hause zurückkehren. Ähnliches war dem Handelsvertreter für Friseurbedarf widerfahren, der wegen des Aufstandes unfreiwillig im Protektorat festsaß. Undurchsichtiger waren die Gründe bei Mutter und Sohn, obwohl alle vermuteten, dass sie auf der Suche nach ihrem flüchtigen Ehemann und Vater hier gestrandet waren, der eines schönen Morgens in Toledo losgezogen war, um an der Plaza Zocodover Zigaretten zu kaufen, und beschlossen hatte, nicht mehr nach Hause zu gehen. Das beinahe tägliche Gezänk, der während des ganzen Sommers unerbittlich fortschreitende Krieg, dazu jener bunt zusammengewürfelte Haufen heimatloser, jähzorniger und verschreckter Menschen, die seine Entwicklung ganz genau verfolgten, all das trug dazu bei, dass ich mich nach und nach in diesem Haus und mit seinen Bewohnern heimisch fühlte. Auch mein Verhältnis zur Pensionswirtin, die angesichts dieser Kundschaft wohl keine Reichtümer scheffelte, wurde vertrauter.
    Selten verließ ich damals die Pension, denn es gab weder einen Ort, an den ich hätte gehen können, noch jemanden, den ich hätte besuchen wollen. So blieb ich allein im Haus oder mit Jamila oder mit Candelaria, wenn sie sich einmal zu Hause aufhielt, was selten der Fall war. Manchmal, wenn sie es nicht eilig hatte, bestand sie darauf, dass ich sie begleitete, um gemeinsam eine Beschäftigung für mich zu suchen. » Sonst wirst du dein bleiches Gesicht nie los, Mädchen«, meinte sie. » Die Sonne tut dir schon nichts!« An manchen Tagen fühlte ich mich zu schwach, ihr Angebot anzunehmen – ich war noch nicht recht bei Kräften –, doch gelegentlich willigte ich ein. Und dann nahm sie mich überallhin mit, in das verrufene Labyrinth der kleinen Gassen im maurischen Viertel und in den neu angelegten spanischen Stadtteil mit seinen quadratisch angeordneten, modernen Straßen, den wunderschönen Häusern und gut gekleideten Menschen. Sie fragte in jedem Geschäft, dessen Besitzer sie kannte, ob man mich unterbringen könne oder jemanden wüsste, der eine Stelle für dieses – wie sie annahm – überaus fleißige Mädchen hätte, das bereit sei, Tag und Nacht zu arbeiten. Aber die Zeiten waren schwierig, und auch wenn man die Schüsse nur in der Ferne hörte, schien alle Welt irgendwie von der Ungewissheit über den Ausgang dieses Kampfes betroffen zu sein, in Sorge um die

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