Das Echo Labyrinth 02 - Die Reise nach Kettari
Tagen, wie gesagt. Vor einer halben Stunde erst habe ich die opulente Tafel verlassen, die sie zu meinen Ehren aufgefahren hat. Jetzt macht sie ein Nickerchen und wird sich vermutlich alsdann daranmachen, etwas Besonderes zu meiner Abreise vorzubereiten. Darum habe ich gerade zum ersten Mal seit fünf Tagen ihr Haus verlassen können.«
In Gedanken gab ich mir eine Eins dafür, mir so schnell Geschichten ausdenken zu können.
»Verstehe«, meinte mein altneuer Bekannter nickend. »Wissen Sie, ich bin Karawanenführer und kenne deshalb alle Touristen. Aber ich vermute, Ihre Tante ist Ihnen entgegengekommen.«
»Sie hat mir ihren jüngeren Sohn entgegengeschickt. Stellen Sie sich vor: Der Mann ist über zweihundert Jahre alt und wird trotzdem noch wie ein Kind behandelt.«
»So was soll's geben«, sagte mein Gesprächspartner. »Wie ich sehe, haben Sie die Verwandtschaft satt.«
Ich nickte gequält und war schon so in meiner Rolle, dass ich meine erfundene Tante wirklich zu hassen begann.
»Suchen Sie vielleicht ein wenig Unterhaltung?«, fragte der nette Mann unschuldig. »Verzeihen Sie, dass ich Ihnen das so offen anbiete, aber das ist hier gang und gäbe. Außerdem habe ich gerade niemanden zum Mau-Mau-Spielen. Normalerweise sind meine Freunde da, aber heute bin ich - wie Sie sehen - allein. Wir spielen um geringe Einsätze, Sie riskieren also praktisch nichts.«
Natürlich riskiere ich nichts, dachte ich verärgert. Unser Vermögen hat ja schon ein anderer durchgebracht.
Um überzeugend zu wirken, versuchte ich, meinem Gesicht einen etwas zweifelnden Ausdruck zu geben.
»Mein Name ist Ravello«, erklärte der Karawanenführer.
Freundchen, du heißt Abora Wala!, dachte ich nur.
»Keine Sorge, Sir«, zwitscherte der Lügner freundlich. »In Kettari lernt man sich ganz zwanglos kennen. Besonders, wenn zwei Männer einen netten Abend bei Mau-Mau verbringen. Was rauchen Sie da eigentlich, wenn ich fragen darf?«
»Ach das?« Ich winkte ab. »Dieser Tabak ist das Geschenk eines Freundes und stammt, soweit ich weiß, aus Kumon, der Hauptstadt des gleichnamigen Kalifats.«
Diesen Namen hatte ich in Manga Melifaros Enzyklopädie der Welt aufgeschnappt, war aber nicht ganz sicher, ob der Ort tatsächlich existiert. Hoffentlich irrte ich mich nicht.
»Mein Freund ist Händler, aber wahrscheinlich auch Pirat. Bei Seeleuten kann man sich da ja nie sicher sein«, fügte ich hinzu. »Haben Sie so einen Tabak noch nicht gesehen?«
»Nie im Leben.«
Diesmal durfte ich annehmen, dass Ravello nicht log.
»Woher kommen Sie eigentlich?«, fragte er interessiert.
»Aus der Grafschaft Wuk, aus den Grenzgebieten zu den Leeren Ländern. Wieso fragen Sie? Haben Sie das nicht an meiner Aussprache gemerkt? Aber lassen wir das. Spielen wir lieber eine Partie, ehe Sie es sich anders überlegen.«
»Reicht Ihnen eine Krone pro Spiel?«, fragte mein Verführer unschuldig. Ich pfiff durch die Zähne. Jetzt erschien mir das Tempo, in dem die Börse von Lonely-Lokley leichter geworden war, nicht mehr so atemberaubend.
»Eine halbe Krone«, widersprach ich entschieden. »Ich bin kein reicher Mann, heute Abend schon gar nicht.«
Mein Gesprächspartner nickte verständnisvoll. Eine halbe Krone war auch für ihn kein schlechter Anfang.
Jetzt musste ich nur dem Glück, dass ich von Sir Juffin geerbt hatte, vertrauen. Nach zwei verlorenen Spielen würde ich mich entscheiden müssen, ob ich bleiben oder heimgehen wollte.
Wir setzten uns an einen kleinen Tisch in der Ecke. Ein paar aufmerksame Augenpaare beobachteten mich. Mich schauderte, denn ich begriff: Ich sollte betrogen werden. Ich wusste zwar noch nicht, wie, aber sie würden es sicher versuchen.
»Darf ich nach Ihrem Namen fragen?«, meldete sich Ravello vorsichtig. »Sie haben sicher Gründe, sich nicht vorzustellen, aber ich muss Sie ja irgendwie anreden.«
»Meinen Namen möchten Sie wissen? Der ist natürlich kein Geheimnis«, sagte ich und machte eine kurze Denkpause. »Ich heiße Marlon Brando und stehe Ihnen gern zu Diensten.«
Wie sonst hätte ich Lady Marilyn steigern sollen?
Natürlich sah Ravello mich daraufhin kurz erstaunt an. Genauso erstaunt hatte Sir Juffin geschaut, als er den Namen Marilyn Monroe vernommen hatte.
»Aber sagen Sie einfach Brando zu mir«, fügte ich generös hinzu. Wenn dieser Mann mich beim Vor- und Nachnamen nennen würde, müsste ich lachen - das war mir klar.
Die beiden ersten Spiele gewann ich leicht und rasch, was mich sehr
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