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Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45

Titel: Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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hatte indessen ein russisches Mädchen in Uniform ein kaltes Buffet aufgestellt – ausgezeichnet hatte sie es gemacht. Ihr rundes, fast orientalisches Gesicht war so sauber gewaschen, daß es glänzte. Sie lächelte dauernd, war sehr höflich und aufmerksam. Wir bedienten uns reichlich mit Sandwichs – Weißbrot mit schwarzem und rotem Kaviar, Schinken und Sardinen, auch Butter, es schien aber Lend-Lease-Butter zu sein, denn sie blieb einem im Mund kleben, wie die, die wir in Afrika gehabt hatten und von der wir immer glaubten, sie enthalte Paraffin. Es gab reichlich Rheinwein und roten Wein, auch süßen und Cognac. Wir waren alle hungrig und durstig und, da wir nichts zu tun hatten, als zu warten, lernte das Mädchen den Weg von der Küche nach dem Wohnzimmer sehr gut kennen.
    Im Wohnzimmer war ein gutes Radio, und gegen 15 Uhr gelang es mir, nacheinander die Reden zum V-Tag von Churchill in London, von Truman in Washington und von de Gaulle in Paris zu angeln.
    Das russische Mädchen, mit dem ich mich nur durch Zeichen verständigen konnte, machte heftige Neinbewegungen. Sie wollte erst an das Ende des Krieges glauben, wenn sie es amtlich vom Moskauer Radio hörte. General Deane, Chef der amerikanischen Militärmission in Moskau, war in direktem Flug von Moskau gekommen. Er erzählte uns, daß die im Hafen von Odessa liegenden amerikanischen und britischen Schiffe am Montag das Ende des Krieges gefeiert und mit ihren Flabgeschützen Salut geschossen hätten. Die Russen waren sofort eingeschritten und hatten erklärt, der Krieg sei noch nicht zu Ende, solche Freudenkundgebungen dürften erst erfolgen, wenn Moskau das Zeichen gäbe.
    Mit Brigadegeneral Turner und Oberst Dupuy erkundete ich den Saal, in dem die Ratifizierung vorgenommen werden sollte: Er war etwa 20 Meter lang und 15 Meter breit, mit Zementfußboden, sehr hübsch mit einer Galerie auf einer Seite. Ungefähr 50 russische Reporter und Photographen waren bereits versammelt; ich fand einen, der englisch sprach; wie er mir sagte, war er der Vertreter des «Inform-Bureau», anscheinend das Pendant zu unserem Propaganda-Amt in Washington.
    Er versuchte mir bei der Lösung einer schwierigen Aufgabe zu helfen: Die Presse-Sektion wird ständig von den Korrespondenten bestürmt, bei den Russen die offizielle Besuchserlaubnis für die russische Zone zu erwirken. Vom SHAEF aus hatten wir verschiedentlich unsere Militärmission durch Funkspruch ersucht, sie solle eine auf Gegenseitigkeit beruhende Erlaubnis beschaffen, waren aber bisher leider ohne Erfolg geblieben. Nun wollte ich die Frage Schukow direkt unterbreiten, damit wir wenigstens erreichen könnten, daß die Korrespondenten in Berlin zugelassen würden, ohne auf die Genehmigung Moskaus warten zu müssen. Mein neuer Freund vom «Inform-Bureau» stellte mich dem Vertreter der Agentur Tass vor und dolmetschte für mich. Der Tass-Mann sagte, er werde mein Gesuch weiterreichen, er könne mir aber nicht viel Hoffnung machen, da wahrscheinlich nicht einmal Schukow diese Erlaubnis erteilen dürfte, sondern erst in Moskau rückfragen müßte. Ich wußte, daß die amerikanischen Korrespondenten in Rußland im allgemeinen in Moskau sitzen bleiben mußten und ihre Weisheit nur aus dem Studium der russischen Zeitungen oder von den amtlichen Mitteilungen der Sowjetstellen beziehen konnten. Nun wollte ich aber von meinem russischen Freund wissen, wie die Kriegsberichterstattung bei den Russen vor sich gehe. Er erklärte mir, daß alle Korrespondenten Soldaten oder Offiziere der Roten Armee seien. Diese Soldaten-Korrespondenten der Roten Armee mußten ihre Berichte nicht der Zensur vorlegen, – es gab bei den einzelnen Armeen keine Zensoren, – sondernsandten sie direkt nach Moskau; sie waren so geschult, daß sie ohne Verletzung militärischer Geheimnisse und, so nehme ich an, gemäß der offiziellen Partei-«Linie» schreiben konnten. Ich fragte, was geschähe, wenn ein Korrespondent die Vorschriften verletze. Statt einer Antwort zuckte mein Freund mit den Achseln.
    Als ich zur Villa zurückkam, fand ich, daß fast alle von uns in den Wagen saßen und darauf warteten, nach Tempelhof zu fahren, um ihr Handgepäck zu holen, da wir ja wahrscheinlich infolge der Verzögerung der Ratifizierung in Karlshorst übernachten mußten. Sie hatten schon eine halbe Stunde gewartet, und es dauerte noch eine Stunde, bis der uns zugeteilte russische Offizier von oben her die Genehmigung zu unserer Fahrt erhielt. Ich fand in einem

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