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Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45

Titel: Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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nicht viel zum Packen. Das Auto war leer, aber hinten wurden alle Sachen eingeschichtet, den Abschluß bildete eine alte Nähmaschine. Der Rest an Platz war für die 11 Kinder, 2 davon im Kinderwagen, und für uns 2 Mütter. Unten im Haus wohnte eine Tschechin, eine ältere Frau. Sie drückte mir ein großes Brot in die Hand und sagte: «Für Ihre Kinder. Die Deutschen ziehen ab, aber die Russen kommen. Ich glaub, für uns wirds nicht besser.» Nun begann eine sehr abenteuerliche Fahrt, meist nur des Nachts. Am Tage standen die Autos am Waldrand und wurden von den Soldaten bewacht. «Partisanen» sagten sie. Nachts fuhren wir durch Prag; Pfiffe, Schreie, Schüsse.
    Die Seminaristin
Hildegard Holzwarth *1928
Prag
    Gestern waren wir im Zirkus. Es war herrlich. Ich hab immer nur geschaut und mich gefreut wie ein kleines Kind. Ein Zauberkünstler hat mir besonders gut gefallen. Er hat so aufregende Sachen gemacht. Ich freu mich, daß ich wieder einmal so kindlich glücklich sein durfte. Jetzt aber steht der traurige Ernst des Lebens wieder in großer Klarheit vor mir. Ich bin genau ein Jahr in Prag in dieser Woche. Ich bin dankbar für dieses eine schöne Jahr, das ich in der «goldenen Stadt» erleben durfte. Es war so voll Abwechslung, voll Heiterkeit und Traurigkeit. Ich werde dir diese Tage nie vergessen, du schöne Stadt!
    Hier werden alle Vorbereitungen gegen den Feind getroffen. Eine ungeheure Spannung ist zwischen Deutschen und Tschechen. Es sind jetzt schon kleine Unruhen. Warum sollen sich deutsche Frauen und Mädel da hinopfern? Meine Pflicht ruft mich zu den Eltern. Hier werden wir nicht mehr gebraucht. Prag, ade!
    Heute hat der Führer Geburtstag. Welch ein Jubeltag war das sonst. Dieses Jahr ist der Tag ein Trauertag. Führer!
    Der Leutnant
Hans Kranich 1919–1980
bei Jägerndorf/Altvater-Gebirge
    Jetzt möchte ich fast glauben, daß ich an Führers Geburtstag auch noch beim Bataillon war, denn ich habe die kurze Rede des Führers im Radio gehört, in der er seine Befriedigung darüber ausdrückte, daß mit Roosevelt sein ärgster Feind überraschend gestorben war, während ihn die Vorsehung am 20. Juli bewahrt hatte.
    Im April ereignete sich doch noch einiges, während ich als Adjutant beim Bataillon war. Es wurde Frühling, am Berghang blühte ein wilder Kirschbaum, am Horizont hing müder blauer Dunst.
    Die Befehle überschlugen sich: von der Heeresgruppe kam fast täglich ein Befehl, doch meist waren die Befehle nur für Offiziere bestimmt. Sie waren lustig zu lesen, Feldmarschall Schörner zeigte darin seine sprachschöpferische Begabung, und sie gefielen mir auch deswegen, weil endlich wieder die Wirklichkeit angesprochen wurde und die Klischees von den Tag und Nacht tapfer kämpfenden Soldaten plötzlich vergessen waren. So hieß es: «Ich stehe auf einem Turm und überblicke den Abschnitt einer Division. Was sich da über das Gelände breitet, ist der Ausdruck lascher Gleichgültigkeit, um nicht zu sagen: Feigheit. Die Granatwerfer sind so weit hinten wie möglich in Stellung gegangen, die Artillerie hat sich nicht den Platz für den wirksamsten Einsatz ausgesucht, sondern die Stellung, aus der sie am raschesten wegkommen kann. Drei (!) Feldgendarmen bringen einen gefangenen Russen zurück, anstatt sich um das Gesindel zu kümmern, das sich in der Etappe rumdrückt.» Der Nimbus des wilden Mannes umgab ihn wie kaum einen zweiten. Die Division wußte es zum Glück vorher, daß Schörner den Troß besichtigen wollte. Sie kommandierte schnell alle fronttauglichen Soldaten zur kämpfenden Truppe ab und stellte einen Troß vor, der aus Kranken und Verwundeten bestand, und erntete prompt das höchste Lob des Chefs der Heeresgruppe: «Der Troß der 78. St.D. war vorbildlich.»
    *
    Görings Adjutant
Karinhall – Berlin
    An diesem Tage fahre ich zum letzten Mal mit RM [Reichsmarschall] von Karinhall ab. Der Abschied von den Räumen, in denen er jahrelang gewohnt hat und die Zeuge seines Aufstieges waren, fällt ihm verdammtschwer. Ich habe bisher niemals Tränen in seinen Augen gesehen – als er sich von seinen Angestellten verabschiedet, lassen sie sich nicht länger zurückhalten.
    Die Stimmung in Berlin ist gedrückt, wie in den ganzen letzten Wochen. AH kommt sehr spät und läßt sich nur ganz kurz zu seinem Geburtstag gratulieren, dann beginnt die «Säge» [Lagebesprechung]. Über diese Einrichtung und über die teilnehmenden Personen wird es sich einmal lohnen, einige Aufzeichnungen zu machen.

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