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Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45

Titel: Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Gegen 22 Uhr ist sie zu Ende, RM hat Befehl (oder Genehmigung), in den Süden zu fahren, und geht ohne langen Abschied. Zwischen zwei Fliegeralarmen versuchen wir die Ausfahrt, müssen aber wieder umkehren, auch in der zweiten Pause schaffen wir nur einen Sprung bis zum Zoobunker. Dort geht RM kurz durch die Lazaretträume und setzt sich dann in den Vorraum zum allgemeinen LS [Luftschutz] -Raum. Die Haltung der Bevölkerung ist erstaunlich: ich hätte Verständnis dafür, wenn sie «Meiern» auspfeifen würden, aber im Gegenteil, wie ein Lauffeuer ist es durch den Bunker: unser Hermann ist da! Und dann drängt sich alles begeistert heran, um ein Wort von ihm zu hören oder einen Händedruck zu erhaschen. Erst nach Mitternacht können wir vom Bunker abfahren.
    Der General
Karl Koller 1898–1951
Wildpark-Werder /OKL
    Göring war übrigens schon völlig reisefertig aus Karinhall zum Führerbunker gekommen und hatte auch bereits für seine Begleitung die entsprechenden Anordnungen getroffen. Seine Kraftwagen waren alle beladen.
    Bei der Lagebesprechung im Führerbunker hat er dann nach meinem Weggang nochmals die Frage der Verlegung angeschnitten und von Hitler gefordert, daß vom OKL. sofort wenigstens einer, entweder er oder der Chef des Generalstabes nach dem Süden gehe, weil die Situation dort eine gemeinsame, obere Führung der Luftwaffe verlange. Darauf sagte Hitler: «Dann gehen Sie, der Koller bleibt hier.»
    Dies meldet mir nach meiner Ankunft in Wildpark-Werder Christian fernmündlich aus dem Bunker. Er sagt mir, Göring fahre unmittelbar nach der Lagebesprechung nach Berchtesgaden ab. Er ließe mir bestellen, ich müsse bleiben und ihn vertreten.
    *
    Der Arzt
Hans Graf von Lehndorff 1910–1987
Königsberg
    Meine Ausrüstung setzt sich zur Zeit folgendermaßen zusammen: ein kurzärmeliges Afrika-Hemd, eine Unterhose, eine mir im Bauchumfang um einen halben Meter zu weite Manchesterhose, die ich auf der Straße gefunden habe, darüber meine eigene lange Hose, unten zugeschnürt, eine von einem Verwandten geerbte Jacke, der Militärmantel, die Filzstiefel und ein Hut, den ich ebenfalls gefunden habe. In einem Sack über der Schulter trage ich meine alten Schuhe und die gefundene Tarnjacke. Das Wetter ist etwas besser. Zeitweise scheint die Sonne. Die Straße ist noch ungemein belebt und die Luft voller Flugzeuge, die Pillau zum Ziel haben. Vor den Wagen gespannt und unter dem Reiter entdecke ich ein Reihe ostpreußischer Pferde, die schon ganz apathisch sind und sich an diese fürchterliche Gangart gewöhnt haben, die ausnahmslos angeschlagen wird: Stechtrab in Dreischlag übergehend. Ein Martergeräusch ist das, wenn man sie auf dem Straßenpflaster entlang- rasen hört, den Hals hintenübergebrochen, den Kopf schief, das Maul blutig gerissen. [...]
    Eng nebeneinander auf dem Fußboden hockend, werden wir von einem gemütlichen blonden Russen bewacht, der etwas Deutsch kann. Mittags kocht er uns im Vorraum auf einem Ziegelherd dicke Grütze in einem Eimer. Die hungrigen Augen machen ihm offensichtlich Vergnügen.
    Am Nachmittag werden wir einzeln zur Vernehmung geholt. Bei mir geht es merkwürdig schnell. Aus meinen restlichen Papieren sieht der grimmige Major wohl, daß ich Arzt bin. Sonst wird er nicht recht klug aus mir. Offenbar begreift er nicht, wie ich gerade zu diesem Trupp gelangt bin. Wieder staune ich über die Möglichkeit eines Systems in diesem Wirrwarr. Warum machen sie überhaupt noch Unterschiede? Der größere Teil der Leute wird ja aus dieser Sortiermaschine sowieso nicht lebend herauskommen. Meine sonstigen Angaben hält der Major für übertrieben. Ich befinde mich offenbar in einem Zustand, der kein besonderes Interesse an meiner Person mehr aufkommen läßt. Daß ich nicht in der Partei gewesen sei, glaubt er nicht. Der Dolmetscher fragt: «Warum Partei für dich schlecht?» Das könne ich ihm nicht so schnell erklären, antworte ich. Auf mehrfaches Drängen, dennoch eine Erklärung abzugeben, mache ich das Zeichen des Kreuzes. Der Dolmetscher tippt sich auf die Stirn und nickt dem vernehmenden Major zu. Der schiebt mir meine Papiere wieder hin und läßt mich gehen.
    Die anderen Männer werden sehr viel länger vernommen. Der Junge wird unter anderem gefragt, wieviel gefangene Russen er bei den Übungender Hitlerjugend erschossen hätte. Ein alter Mann, der früher bei der Polizei war, kommt überhaupt nicht wieder zum Vorschein.
    Frau Bruno
Königsberg
    Am 20.4. wurden alle politisch

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