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Das einsame Herz

Das einsame Herz

Titel: Das einsame Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Stückchen Leben, wenn die Kraft der neuen Sittlichkeit im Wahnsinn stirbt?! O glauben Sie mir, es ist manchmal unendlich schwer, nicht selbst zur Pistole zu greifen, um Schluß zu machen mit diesem Mummenschanz bürgerlicher Moral, um Schluß zu machen mit dem schmerzenden, kleinen, armen, eigenen Leben, das keinen Sinn hat, weil die Welt überhaupt nur leben kann, wenn sie im Sinnlosen sich gefällt!«
    Erschöpft hielt er inne und legte den Kopf weit in den Nacken. Mit starren Augen blickte er hinauf in die trübe Sonne, vor der blauweiße Wolken in langen Streifen schwammen.
    Da legte ihm das Mädchen leicht die Hand auf den Arm.
    »Sie sind ein armer Mensch«, sagte sie mit einer traurigen Stimme, in der die unterdrückten Tränen weinten. »Sie müßten einen Menschen finden, der Ihren Kopf in den Schoß nimmt, mit Ihnen draußen sitzt in der Natur und Ihnen zeigt, wie herrlich das Leben im Kleinen und Großen ist, wie sehr ein Käfer um sein kostbares Leben bangt und die Blume mit allen Poren das Licht der Sonne trinkt.«
    »Sonne!« Otto Heinrich Kummer lächelte bitter. »Und die Sonne Homers, siehe, sie lächelt auch uns … Sagte es nicht Schiller? Die Sonne Homers! Vielleicht ist sie die letzte Sonne, die mich zu halten vermag, die Sonne der Genien … die Sonne Griechenlands … die Sonne der Musen …« Er steckte das Bild in die Tasche seines Rockes und wandte sich zu dem Mädchen um. »Gute Jungfer Trudel – Sie haben Kummer in den Augen …« Er lachte gequält und wischte sich mit der Hand über die Augen, als ob er einen Schatten verscheuchen wollte. »Es ist besser, wenn wir nicht weiter darüber sprechen«, sagte er. »Ihr Leben ist so licht und rein, daß es eine Sünde wäre, es mit meinem Dunkel zu vergiften. Lassen Sie uns nicht darüber sprechen, lassen Sie uns diesen Vormittag vergessen und … Fremde sein. Es ist besser für Sie und – mich. Und außerdem – Ihr Vater könnte uns sehr grollen.«
    Er beugte sich über die Hand des Mädchens, küßte sie leicht und ließ das tief errötende Mädchen stehen. Mit langsamen Schritten bummelte er in den Birkenwald hinein, erklomm einen kleinen Hang und setzte sich dort auf eine ausgegrabene Wurzel.
    Lange blickte er hinab auf das Städtchen, das still und fast ausgestorben in einer Senke zwischen zwei Bergen lag, und es war ihm, als sei diese Erde so weit von ihm entrückt und wesenlos, und sein Blick schweife von einem anderen Stern bewundernd über das Leben unbekannter Welten.
    Er legte sich nach hinten in das hoch wuchernde Gras, starrte in die ziehenden Wolken und träumte von der Weite des Lebens.
    Er vergaß Frankenberg und Knackfuß, Willi Bendler und Jungfer Trudel und träumte sich zurück in das väterliche Haus, in die weiten Zimmer des Münzmarschalls von Dresden, in denen er vor wenigen Jahren noch spielend der Mutter zu Füßen saß und die Neckereien der Geschwister mit Tränen oder Streichen heimgalt.
    Er sah die Prager Straße vor sich, den Schloßturm und das Kosel-Palais, er sah sich auf dem weiten Opernplatz spielen und flache Steine über die Elbe schnellen, daß sie mehrmals aus dem Wasser hüpften, ehe sie versanken.
    Er sah seine Gespielen wieder, den kleinen Grafen von Donnersmarck, den Baron von Puttkammer und den Baron de Loumièrais, er sah die goldene Hofkutsche wieder durch das breite Tor ziehen, die Wache unter das Gewehr treten und hörte ganz deutlich das Fanfarensignal, wenn die Königskutsche in den Schloßhof einfuhr.
    Die hohe Kuppel der Frauenkirche glomm aus dem Dunst des Septembertages hervor, die mächtige Kuppel, in die ein französisches Geschütz eine Kugel jagte und die im Steine haften blieb.
    Otto Heinrich Kummer schloß die Augen.
    Die Mundwinkel zuckten leicht, die Lider zitterten, und die Flügel der schmalen Nase bebten.
    Und mit einer jähen Bewegung drehte sich der Jüngling auf den Bauch, vergrub den Kopf zwischen seine Arme und lag so, stumm, ohne sich zu rühren, wie ein Toter, bis aus dem Tal die Kirchenuhr die mittägliche Stunde schlug und einen fremden hellen Ton in diese herbstlich trübe Stille trug …
    Bisweilen schnitt die Erinnerung wie mit Messern in sein Bewußtsein, nie jedoch vermochte er sie abzuschütteln, sie war der Schatten, der ihn überall begleitete – die Erinnerung an die Nacht vor zwei Jahren …
    Mit Fehlin zusammen, dem dicken, blonden Fehlin, seinem liebsten Studienfreund, war er Elbaufwärts zum alten Fährhaus geschritten, wo an diesem Abend die

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