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Das einsame Herz

Das einsame Herz

Titel: Das einsame Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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hätte ich an diesem Ort am wenigsten erwartet.«
    »Ich habe ein paar Beeren für den Mittagstisch gesammelt«, sagte das Mädchen und setzte sich ungeniert neben den Jüngling ins Gras. »Bekommen Sie den Knoten nicht auf? Darf ich Ihnen helfen?«
    »Oh – ich danke bestens … Es geht schon.« Otto Heinrich, den der Liebreiz des ovalen Gesichtes und des jungen Körpers wie eine heiße Welle überspülte, fühlte sich täppisch und ungelenk. Im Innern schalt er sich selbst einen Tölpel, vermied es aber trotzdem, in die großen, fragenden Mädchenaugen zu sehen, die so nahe unter ihm glänzten.
    »Das Päckchen ist von meinem Vater«, gestand er, nachdem er den Knoten gelöst hatte. »Ich sollte es dem Herr Knackfuß geben, wenn …«
    Er schwieg wieder, erschreckt, daß er sich so weit versprochen hatte.
    »Wenn …?« fragte Trudel langsam. »Was ist mit dem Wenn, Herr Kummer?«
    »Sie kennen meinen Namen?«
    »Mein Vater erwähnte ihn heute Herrn Bendler gegenüber.«
    »Und Sie haben ihn behalten?«
    Das Mädchen nickte, und es war, als verdunkelten sich ihre Augen.
    »Wie leicht behält man solch einen Namen – der immer um mich ist …«
    Der Apotheker wagte nicht, darauf etwas zu erwidern. Er packte geräuschvoll das Papier aus, öffnete den Karton und entnahm ihm ein Miniaturbild seines Vaters, an das ein Zettel geheftet war.
    »Sollte mein Sohn Otto Heinrich bei Ihnen, verehrtester Herr Knackfuß, eine Heimat finden, so bitte ich Sie gnädigst, das beiliegende Bildlein in seiner Kammer anzubringen. Mit dem Ausdruck allervorzüglichster Hochachtung Ihr Benjamin Kummer, Münzmarschall.«
    Der Jüngling schloß die Augen. Bebend preßte er das Bild an sein Herz. »Vater …«, stammelte er. »Guter, lieber Vater … ich habe keine Heimat mehr, ich bin einsam, so grenzenlos einsam unter all diesen Menschen … Keiner versteht mich. Und ich liebe doch so die Freiheit. Eine Heimat? Was ist eine Heimat? Die Kindheit, die Erinnerung, die Sehnsucht, die Hoffnung, die Liebe; Dinge, ungreifbar, unfaßbar, hoch über dem, was sich Mensch nennt … O Vater … Vater …«
    Er preßte das Bild an die Lippen und öffnete die Augen.
    Als er sah, daß das Mädchen noch immer neben ihm im Grase saß und erschreckt zu ihm aufschaute, spülte eine tiefe Scham über sein Gesicht, und er erhob sich mit einem jähen Ruck.
    »Entschuldigen Sie, Jungfer Trudel, daß ich mich vergaß. Ich liebe meinen Vater, auch wenn er mich nicht versteht und schuld ist, daß ich hier in diese Einsamkeit verbannt wurde.«
    »Sie wollten das Bild meinem Vater geben, wenn Sie hier eine Heimat finden. – Ist es so bitter bei uns, Herr Kummer?«
    »Ich bin einsam«, antwortete der Jüngling.
    »Auch, wenn Sie mit mir sprechen?«
    Otto Heinrich lächelte. »Jungfer Trudel – es gibt Menschen, die nicht wissen, warum sie leben. Oder haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, welch einen Sinn Ihr Leben hat?«
    »Nein«, antwortete das Mädchen zögernd. Aber dann raffte sie sich auf und meinte: »Ich glaube, ich lebe, um anderen Menschen Freude zu machen.«
    »Sie werden stets der Sklave dieser Menschen sein.«
    »Wenn ich ihnen damit helfen kann …«
    »Das ist doch kein Leben!« rief der Jüngling erregt. »Leben ist doch eine Aufgabe, nicht ein Aufgeben des Ichs, sondern das Aufquellen der im Menschen verborgenen Möglichkeiten! Leben ist doch kein Martyrium, sondern eine Mission, den Menschen von Leben zu Leben zu veredeln! Aber veredelt sich der Mensch? Er verroht, er verliert die letzte Seele, er wird ein Apparat, der atmet, arbeitet, ißt, trinkt, schläft und alle körperlichen Funktionen wie ein Uhrwerk ausführt! Wo ist denn noch ein Mensch, der sagen kann: Seht, ich bin nicht vollendet, denn vollendet ist nur Gott – aber ich bin ein Mensch, der eins erkennt: die Menschlichkeit!«
    Otto Heinrich Kummer ging erregt vor dem Baumstumpf hin und her und verkrampfte die Hände auf dem Rücken.
    »Die neuen Geister der neuen Ordnung verbannte man! Schiller mußte flüchten, Kleist schoß sich eine Kugel durch den Kopf, Grillparzer verhungert in Wien, Grabbe ist dem Wahnsinn nahe, Hölderlin trieben die Menschen in den Irrsinn« – und plötzlich schrie er –, »und das alles, weil sie die Wahrheit sagten, ungeschminkt, grell, ein Fanal der Freiheit des Individuums! Wer kann an den Menschen glauben, wenn dieser Mensch die Rufer der Menschlichkeit in die Erde tritt?! Wo ist denn hier noch Sinn, eine aufbauende Logik in diesem faulenden

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