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Das einsame Herz

Das einsame Herz

Titel: Das einsame Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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umklammerten die Steinbalustrade der Brücke. Sein Magen krampfte sich zusammen, revoltierte, nur die Furcht vor der Demütigung hinderte ihn, sich auf der Stelle zu übergeben. Er würgte. Unter ihm zog schwarz und glitzernd die Elbe.
    Er atmete tief, zog das Taschentuch heraus und wischte sich den Schweiß von der Stirne. Der Wind, der über den Fluß wehte, reinigte die Nacht.
    Deutsche Dichter? dachte er. – Wie albern, wie lächerlich, wie armselig … Wir alle sind von der Feigheit und Furcht der Pestilenz durchtränkt …
    Sie erreichten die Stadt. Fehlins Eltern bewohnten ein palaisartiges, nobles Haus am Opernplatz. Baron Fehlin, Bankier und Grundbesitzer, liebte eine standesgemäße Herberge, wenn er nach Dresden kam. Und die Kommilitonen witzelten über die ›teuerste Studentenbude Deutschlands‹, wenn sie daran vorüberkamen.
    »Schaffst du's allein?«
    »Ja, ja. Danke, Fehlin. Hab' ich mich sehr blamiert?«
    »Warum? Was wären wir schon ohne einen guten Trunk? Langweilige Gesellen vermutlich. Ich habe manchmal den Verdacht, ohne Wein und ohne Bier würde in dieser Welt sich nichts verändern, denn nicht wahr: So alleine in der Stille unserer Arbeitszimmer macht sie sich ganz anders, schrumpft gewissermaßen wieder auf uns selbst zurück.«
    Er schlug Kummer auf die Schulter und drehte sich um. Otto Heinrich sah ihm nach und beneidete ihn: Fehlin; er ruhte in seinem Fleisch, war stets auf die gleiche Art ironisch und distanziert, selbstsicher und gelassen. Und du? Dich bestürmen Worte, du versuchst sie zu bändigen, verbringst deine Tage in der Universität und bildest dir ein, bei all dem Gerede über Zusammensetzung und Veränderung der Stoffe ein Nachfolger der großen Alchimisten zu sein. Zu Hause spielst du den gehorsamen Sohn und liest heimlich die revolutionären Verse der Emigranten, inszenierst dein ureigenes, persönliches kleines Welt-Theater. Und dann, beim ersten ordentlichen Trink-Comment kommt schon der Zusammenbruch …
    Ins Bett! Den Kopf unter kaltes Wasser. Und morgen, morgen wirst du nachdenken. Morgen …
    Breit hingelagert, einer Festung gleich, lag mit flachansteigendem Giebel das Haus des Münzmarschalls Kummer.
    Otto Heinrich war stehengeblieben. Er spürte das Klopfen des Herzens hoch oben am Hals. Dort, rechts? Im ersten Stock schimmerten drei erleuchtete Fenster. Das Arbeitszimmer seines Vaters.
    Gerade noch Revolutionär – und nun schon Feigling. Aber diese Furcht ließ sich nicht unterdrücken. Wenn er dich in diesem Zustand erwischt … wäre zuviel, als daß es der Magen noch ertragen könnte.
    So ließ er den Schlüssel in der Tasche der Samtjacke und näherte sich dem Dienstboteneingang von einer Seitengasse.
    Hier stand die Türe offen.
    Die Glutreste in der Küche zeigten ihm den Weg zur Hintertreppe. Vorsichtig, auf Zehenspitzen, fluchend, wenn ihm der Gleichgewichtssinn erneut einen Streich spielte, erreichte Kummer schließlich den zweiten Stock. Als er den Korridor durchging, am großen Treppenhaus vorbei, um zu seiner Tür zu gelangen, vernahm er hinter sich ein Geräusch.
    Er blieb stehen. Licht drang durch die geöffnete Tür. Eine helle Mädchenstimme rief leise: »Otto Heinrich …«
    Mein Gott, das war Anna Luise, seine Schwester. Den Leuchter trug sie in der Hand. Die dunklen Augen in dem schmalen Mädchengesicht unter der Nachthaube wirkten riesengroß und beschwörend, das weiße Leinen des Nachthemds reichte bis zum Boden, bedeckte ihre Füße, so daß sie wie eine kleine, weiße Säule wirkte, die sich näherte.
    »Wo warst du bloß? Gut, daß ich dich gehört habe.«
    »Wieso denn?«
    Sie zog die Brauen zusammen. »Was ist denn mit dir?«
    »Was soll sein?«
    »Du schwankst so komisch.«
    »Aber nein. Sag mir lieber, ist irgend etwas geschehen?«
    »O ja, es ist etwas geschehen. Der Vater ist außer sich. Den ganzen Abend wartet er schon.«
    »Auf was denn?«
    »Auf was? – Auf wen, mußt du fragen. Auf dich. Da waren zwei Herren da. Und einen kannte ich … Er ist ein hoher Kommissär bei der Polizei. Sie wollten Vater sprechen. Und dann mußte Mama ins Zimmer, und als sie herauskam, sagte sie, es gehe um dich.«
    »Um mich?«
    »Ja … Vater ist noch nicht einmal zum Abendessen erschienen. Und Mama war ganz aufgeregt. Du kennst sie doch, in solchen Momenten bekommst du kein vernünftiges Wort von ihr. Sie rannte nur hin und her und hatte das Taschentuch vor dem Mund und sagte ›mon dieu, mon dieu‹, und das in einem fort. Was ist bloß? Otto

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