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Das einsame Herz

Das einsame Herz

Titel: Das einsame Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Besserung.
    »Wie soll ich Ihnen danken?« schluchzte die Frau und trat auf die Straße. Eisige Luft strömte in den Laden. »Wenn Sie jemals ein Kind besitzen werden, werden Sie wissen, was Dankbarkeit ist.«
    Sie eilte zu dem Wagen, sprang auf den Bock und schnalzte laut mit der Zunge.
    Hart zog das Pferd an und jagte mit dem klappernden Wagen über den Markt.
    Erst als er am Ende der Hauptstraße in der Nacht verschwamm, trat Otto Heinrich in den Laden zurück und schloß sorgsam die Tür.
    Der Druck in seinem Gehirn hatte nachgelassen, nur die Glieder waren noch schwer wie Blei.
    Er stellte den Stuhl wieder an die Wand und ging dann ins Laboratorium.
    Bedächtig wusch er die Schalen, stellte die Feinwaage unter Glas und nahm dann die Flasche Belladonna, um sie wieder in den Giftschrank zu stellen.
    Als er sie hochhob, stutzte er und drehte das Etikett zu sich herum.
    Auf der Flasche stand: Curare …
    Für einen Augenblick verschwamm vor Otto Heinrich die Umwelt in einen feurigen, brennenden Nebel. Eine prickelnde Lähmung rieselte durch den Körper. Dann wurde der Nebel leichter, und wie durch einen Schleier sah er den Giftschrank geöffnet vor sich.
    In der zweiten Reihe, die dritte Flasche von links, stand Belladonna!
    Ein schüttelfrostartiges Zittern überfiel ihn, schlaff sank die Hand mit der Curare-Flasche auf den Tisch. Dann zuckten die Hände empor und krallten sich vor die Augen.
    »Unmöglich«, stammelte er. »Unmöglich …«
    Er ließ die Arme sinken und starrte wieder auf die Flasche vor sich.
    Da schrie er, gellend, tierisch, schrie und klammerte sich an den Giftschrank, schüttelte ihn und wimmerte. Er riß das Rezept aus dem Kasten, las wohl einen Namen, aber keine Adresse. Der Arzt war bei dem Kinde, er war nicht zu erreichen, und die Mutter jagte durch die Nacht und brachte das Gift, das grauenvolle, lähmende Gift … den Tod!
    Den Tod aus seiner Hand!
    Da wimmerte er wieder, hilflos, ratlos … denn was nützte ein Wagen, wenn er nicht wußte, wo die junge Frau wohnte; und wenn er ihr nachfahren könnte – sie wäre längst vor ihm da und hätte dem Kind die Medizin gegeben.
    Die Medizin!
    Das Gift!
    Curare!
    »Nein!« schrie Otto Heinrich. »Nein! Nein.«
    Er stürzte auf den Giftschrank zu und riß die Flaschen heraus. Einzeln, hintereinander schleuderte er sie in die Ecke, wo sie zerschellten und die Gifte, der tausendfache, schreckliche, entsetzliche Tod, sich zu einer Lache stinkender Flüssigkeit vermählten.
    »Satan!« schrie Kummer, wenn Flasche nach Flasche zersplitterte. »Satan! Satan!«
    Dann wimmerte er wieder, irrsinnig vor Schuld und Gewissen, Entsetzen und Grauen, sah die junge Frau vor sich und hörte ihre Worte: »Sie werden wissen, was Dankbarkeit ist, wenn Sie einst ein Kind besitzen …«, und trommelte wieder an den Giftschrank, ohnmächtig in Schmerz und Wut.
    In der Ecke tickte hart die Uhr.
    »Aufhören!« schrie er. »Aufhören!«
    Er sprang in die Ecke und stellte sich unter das tickende Pendel, stierte auf das Zifferblatt und sah das Schleichen des großen Zeigers.
    »Jetzt kommt sie an«, flüsterte er. »Sie tritt ein, lächelt, nimmt ein Glas, öffnet die Flasche, zählt die Tropfen, eins … zwei … drei … vier … fünf … sechs … sieben … acht … neun … zehn … bis zwanzig … Sie beugt sich über das Kind, streichelt ihm über die schweißnassen Haare, hält das Köpfchen gerade und … und … nein … Halt! Halt!« Otto Heinrich schrie und hieb mit der Faust die Uhr herunter. »Halt! Nicht geben, nicht geben …« Wimmernd lehnte er an der Wand. »Es ist der Tod …«
    Dann sank er ohnmächtig um.
    Lang hingestreckt lag sein Körper auf den Dielen.
    In der Lache der hundert Gifte auf dem Boden spiegelte sich trüb der Mond.
    Ein scharfer, ätzender Geruch lag wie eine Wolke im Raum, abgestanden und kalt, widerlich und breiig.
    Und auf den Bergen rauschten die Wälder im Wind.
    Otto Heinrich erwachte, als die nahe Turmuhr die dritte Morgenstunde schlug. Dumpf hallten die Schläge durch die bleierne Nacht.
    Der Mond lag unter einer dicken, schwarzen Wolkendecke.
    Die Tranlampe war niedergebrannt.
    Ächzend erhob sich Kummer vom Boden und wankte an das Fenster, preßte die Stirn an die Scheibe und schloß vor der Kälte, die seinen Körper durchzuckte, die Augen.
    Sterben, dachte er, jetzt muß ich sterben. Es gibt keinen Ausweg, natürlich muß ich sterben. Ich gab der Frau Curare statt Belladonna, das Kind ist nun längst gestorben, und

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