Das Elfenportal
zugelassen, dass sie ihn im Arm hielt. Sie roch gut und sie war warm und weich. Aber er hatte sich schuldig gefühlt, als hätte er seinen Vater verraten. »Möchtest du reden?«
Er wollte nicht reden. Wie sollte er über all das mit irgendjemandem reden können, hinter dem Rücken seines Vaters? Abgesehen davon hätte er vor lauter Weinen ohnehin keinen zusammenhängenden Satz herausgebracht. Er hatte bloß dagestanden, den Kopf an ihre Brust gedrückt und geflennt. Dann, und das hatte ihm endgültig den Rest gegeben, war ihm auch noch der Rotz aus der Nase gelaufen und auf ihre strahlend weiße Bluse getropft. Der Rotz lief und lief und Henry hatte nichts dagegen machen können.
Das Schlimme war, dass sie sich gar nicht darüber aufgeregt hatte. Sie war nicht einmal zusammengezuckt. Sie hatte ihn einfach nur im Arm gehalten und ihm über die Haare gestrichen und gefragt, was denn los sei – als ob sie das nicht längst wüsste.
Als er zu Hause ankam, fiel ihm sofort auf, dass das Auto seines Vaters in der Auffahrt stand.
Seine Mutter musste ihn schon durchs Fenster gesehen haben, denn sie fing ihn an der Eingangstür ab. Es gelang ihr tatsächlich, gleichzeitig ängstlich, wütend und schuldbewusst auszusehen. »Wo in aller Welt bist du gewesen, Henry? Hat dir Mr Fogarty nicht gesagt, dass du sofort nach Hause kommen solltest?«
Hab mich bei deiner Geliebten ausgeheult, Mama. Aber statt ihr zu antworten, schlurfte er mit hängendem Kopf an ihr vorbei. Als er sich die Schuhe auszog, tröpfelte Wasser auf das »Herzlich willkommen« des Fußabtreters. Na dann: Herzlich willkommen. Sein Vater kam aus der Küche und grinste matt. »Deine Mutter ist ein bisschen durch den Wind«, sagte er.
Henry schälte sich aus seinem Mantel und hängte ihn zum Trocknen an die Garderobe. »Du bist ja klatschnass«, sagte seine Mutter. »Geh rauf und zieh dich um, bevor du dir den Tod holst.«
»Ich geh am besten gleich in die Badewanne«, sagte er in der Hoffnung, die sicherlich drohende Familienkonferenz zu unterlaufen.
Er stand da, staunte über die verschiedenen widerstreitenden Gefühle im Gesicht seiner Mutter und spürte ein winziges Zwicken von Schuld, ein winziges Zwicken von Befriedigung. Schließlich sagte sie: »Ja, gut, aber mach nicht so lange.«
Baden war keine gute Idee gewesen. Er lag in dem warmen Seifenwasser, starrte zur Neonbeleuchtung hoch und hatte Angst. Ganz egal, was gleich passierte, es würde nichts Gutes sein, und er bereute inzwischen, es hinausgezögert zu haben. Vielleicht ließen sie sich scheiden. Vielleicht sollten Aisling und er in ein Heim gehen. Ihm wollte keine Lösung einfallen, die nicht auf eine Katastrophe hinauslief. AOM. Alle Optionen Mist. Er schloss die Augen. Am liebsten hätte er sich irgendwo versteckt.
Er zog saubere Jeans an, aber das einzige Hemd, das er finden konnte, war das blöde Holzfällerteil, das ihm Tante Millie zum Geburtstag geschenkt hatte. Er starrte es ausdruckslos an, dann schlüpfte er hinein. Was sollte der Quatsch, er ging ja nicht auf eine Modenschau.
Sie mussten auf ihn gelauert haben, denn sie kamen schon aus der Küche geschossen, als er noch die Treppe hinunterging. »Wir sind hier, Henry«, sagte sein Vater. »Kannst du mal eine Minute kommen?« Er zögerte, dann fügte er aufgesetzt munter hinzu: »Gibt was zu besprechen.«
Henry schlurfte in die Küche, ohne ein Wort zu sagen.
Sein Vater versuchte gleich, die Moderation zu übernehmen. »Es wäre besser, wenn deine Schwester dabei wäre, aber wir hielten es für klüger, so schnell wie möglich miteinander zu reden. Aisling können wir immer noch auf den neuesten Stand bringen, wenn sie am Wochenende zurückkommt.«
Herzlich willkommen, Aisling. Deine Mutter ist mit meiner Sekretärin durchgebrannt, und ich habe schon meine Passage nach Australien gebucht. Sie sollten sich wirklich einen anderen Fußabtreter zulegen.
»Setz dich doch, Henry. Möchtest du Tee oder so?«
Seine Mutter fuhr müde dazwischen: »Hör auf mit dem Quatsch, Tim.« Zu Henry sagte sie: »Soweit ich weiß, habt ihr beide schon miteinander gesprochen?«
Henry nickte und ging zum Kühlschrank. Darin stand ein halber Apfel, die Schnitze hübsch auf einer Untertasse angeordnet. Er probierte. Das Fruchtfleisch schmeckte wie Sägemehl. Er ging zum Tisch und setzte sich, starrte die beiden mit großen Augen an. Wenigstens würde er jetzt wohl nicht losflennen. Er war total leergeweint.
»Als Erstes möchte ich gern
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