Das Elfenportal
an Charlie war, dass man mit ihr reden konnte. Über alles. Und dass sie nie etwas weitererzählte. Sie fragte: »Was wirst du jetzt machen?«
»Ich? Was kann ich denn machen?«
»Keine Ahnung«, gab Charlie zu. »Wollen sie sich scheiden lassen?«
»Sie sagen, nein«, sagte Henry, »aber das geht doch gar nicht anders.«
»Was wollen sie denn dann? Zusammen bleiben wegen der Kinder ?« Sie verdrehte wieder die Augen.
Henry nickte. »So was in der Art.«
Charlie legte ihm eine Hand auf den Arm. »Entschuldige, Henry. Das macht dich echt fertig, hm?«
Henry biss sich auf die Lippen und nickte wieder. »Ja. Ja, das tut es.«
Charlie sagte: »Meine Eltern sind geschieden.«
Henry runzelte die Stirn. »Wie – dann haben sie sich später wieder zusammengetan?« Mr und Mrs Severs schienen doch total gut miteinander klarzukommen, ohne Probleme.
Charlie lächelte leicht. »Peter ist nicht mein richtiger Vater, Henry.«
»Echt nicht?«
Charlie schüttelte den Kopf. »Mama hat sich von meinem richtigen Vater scheiden lassen, als ich drei war. Er war ständig betrunken, wenn er nach Hause kam, und hat sie verprügelt. Sie blieb mit ihm zusammen wegen der Kinder – also wegen diesem Kind hier. Dann hat er ihr eines Abends den Arm gebrochen und mich aus dem Bett gezerrt und auf den Boden geschmissen. Ich hatte überall blaue Flecken und konnte gar nicht mehr aufhören zu weinen. Da hat meine Mutter beschlossen, dass es reicht. Sie hat mich unter ihren heilen Arm geklemmt und ist zu einem Rechtsanwalt gegangen. Anderthalb Jahre später hat sie dann Peter kennen gelernt, und mit dem war es viel besser.«
Henry starrte sie mit offenem Mund an. »Davon habe ich ja überhaupt nichts gewusst.«
»Nein«, sagte Charlie. »Das weiß ja auch keiner. Als sie geheiratet haben, hat Peter mich adoptiert, damit ich seinen Nachnamen bekommen konnte. Peter ist in Ordnung.«
»Aber was ist mit deinem richtigen Vater?«
»Was soll mit ihm sein?«
»Siehst du ihn denn überhaupt mal?«
Charlie schüttelte den Kopf. »Nee.«
»Nie?«
»Nee.«
»Wo wohnt er jetzt?«
»Keine Ahnung.«
»Möchtest du dich denn gar nicht mit ihm treffen?«
Charlie schüttelte erneut den Kopf. »Ich weiß nicht mal mehr, wie er aussieht«, sagte sie. Es klang, als freue sie sich über einen Sieg. »Ich kann mich nicht an ihn erinnern, und seine Fotos hat Mama alle verbrannt. Sie sagt, er ist ein Scheißkerl.«
»Kommt mir auch so vor«, sagte Henry ernsthaft.
Auf einmal lächelte Charlie strahlend. »Jedenfalls bist du nicht der Einzige mit einem problematischen Elternteil. Bloß dass meiner schon vor langer Zeit verschwunden ist. Aber die Sache ist die, Henry, es ist gut ausgegangen. Peter ist ein richtig guter Vater. Besser als mein richtiger Vater. Meine Eltern sind glücklich miteinander, meistens jedenfalls. Das mit deinen Eltern könnte auf lange Sicht total gut sein. Weiß man nie.«
»Jetzt kommt’s mir jedenfalls nicht gut vor«, sagte Henry. Zu seinem Entsetzen stiegen ihm schon wieder Tränen in die Augen. Er wandte sich ab, aber Charlie merkte es trotzdem.
Sie machte genau dasselbe wie Anaïs vorhin. Sie kam zu seinem Gartenstuhl herüber, nahm ihn in den Arm und barg seinen Kopf an ihrer Brust. Ihr fingen die Brüste gerade erst zu wachsen an, so dass es sich anders anfühlte, und irgendwie schaffte Henry es, doch nicht loszuweinen.
Charlie hielt ihn fest und sagte: »Muss ein harter Tag gewesen sein.«
Ein Schmetterling flatterte auf seinem taumeligen Kurs zur Hecke vorbei. Henry erschrak, dann entspannte er sich wieder. Und du weißt gerade mal die Hälfte davon, dachte er.
Vierzehn
A isling kam am Freitagabend zurück und brachte einen Haufen Neuigkeiten über ein Pony namens Chester und irgendeinen blöden Reitlehrer mit, der Damien Middlefield hieß. Sie war ganz offensichtlich irritiert, als ihre Eltern ihr nicht zuhören wollten und sie stattdessen ins Wohnzimmer verfrachteten, um ihr zu erklären, dass das Leben ausnahmsweise einmal kein Zuckerschlecken war. Henry wartete geduldig in der Küche und aß erst ein bisschen Joghurt und dann zwei Schokoladen-Brownies, aber schließlich wurde es so spät, dass er ins Bett ging. Am folgenden Morgen war Aisling schon schwer dabei, alles zu verdrängen.
»Er ist total groß«, erzählte sie ihm begeistert, »aber total sanft. Und er versucht alles – er ist ein richtiger Draufgänger, ganz egal, wie hoch sie die Hürden setzen. Ich hätte ihn am liebsten im Koffer
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