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Das elfte Gebot

Das elfte Gebot

Titel: Das elfte Gebot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lester del Rey
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fühlte er abschätzende Augen auf sich ruhen, doch er schenkte ihnen keine Aufmerksamkeit; und diese Augen wandten sich, vielleicht wegen seiner Selbstsicherheit, leichteren Zielen zu. Es war ein Gefühl der Überlegenheit, das Boyd immer genoß, wenn er daran dachte.
    Schließlich wurde die Menge so dicht, daß er kaum noch passieren konnte. Es handelte sich um den Zustrom zu einer weiteren Veranstaltung des Blinden Stephan, wobei dieser Zustrom offensichtlich gerade seinen Anfang nahm. Er drehte sich um und suchte nach einem Weg, der ihn um die Ansammlung herumführen könnte. Hinter sich hörte er schlurfende Schritte und ein klopfendes Geräusch.
    „Guten Abend“, sagte er leise. Das Klopfen hatte seinen Verfolger identifiziert.
    Der Blinde Stephan stellte sich vor ihn hin und wartete. Sein kahler Schädel schimmerte im Licht der Straßenlaternen, und er schien einen Heiligenschein um den Kopf zu haben. „Guten Abend, Boyd Jensen“, antwortete er mit ebenso leiser Stimme. „Nun kennen wir einander. Sie gehen nicht wie jemand, der auf der Erde aufgewachsen ist, und mich verrät mein Stock. Gut. So kennen der alte, blinde Moses und der leichtfüßige Joshua einander endlich – aber dieses Mal haben wir uns wohl mehr zu sagen. Nein, nein, keine falsche Eile. Ich kann warten. Ich kann warten, bis Sie gegen die vergebliche Rebellion rebellieren und nicht mehr gegen die Sache eingestellt sind, die Sie eigentlich suchen. Wenn wir uns das nächste Mal treffen, werden wir Zeit haben für ein größeres Verständnis. Aber sagen Sie mir nur eines: Kann die Pest bezwungen werden?“
    „Ich arbeite nicht an Ihrer australischen Pest“, protestierte Boyd.
    Der große Kopf verbeugte sich und nahm dann wieder seine vorherige Position ein, die blicklosen Augen musterten Boyds Gesicht. Das Lächeln wurde tiefer. „Ich habe nicht nach Ihrer Arbeit gefragt, Boyd Jensen. Kann die Pest bezwungen werden?“
    Einen Augenblick lang wollte Boyd bestreiten, jemals Berichte über die Pest und das benötigte Serum gehört zu haben. Aber das war zwecklos. Der Fehler in der Theorie über das Serum war so offensichtlich, daß man es nur noch seinem eigenen Hintergrundwissen zuschreiben konnte, weshalb nur er ihn sah und die anderen nicht.
    „Ich glaube ja – vielleicht sogar vollkommen“, antwortete er.
    „Dann habe ich nicht länger Furcht. Wir werden triumphieren, sowohl über die Pest als auch über die Asiaten“, sagte Stephan. Er wollte sich gerade abwenden, verharrte jedoch, als Boyd ihm Epsteins Botschaft übermittelte. Er nickte lächelnd, dann hob er seinen Krummstab ein wenig. „Gute Nacht.“
    Boyd sah zu, wie die Gestalt langsam weiter die Straße hinabschritt, gemächlich, aber festen Schrittes, während die Menge beiseite wich, um ihn durchzulassen. Irgendwie war er selbst im dichtesten Gewühl deutlich sichtbar.
    Erschauernd und doch mit einem seltsamen Hochgefühl, wandte Boyd sich seines Weges. Warum nicht? Er konnte sich dem Kreuzzug anschließen und alldem entkommen. In ein neues Land mit genügend Platz gehen. Und wenn es zum Krieg mit den bereits Anwesenden kam, dann war das ein Krieg des Geschicks und der Muskelkraft gegen einen persönlichen Widersacher. Oder ein Krieg gegen die Pest, ein Krieg für zukünftige Generationen.
    Er riß sich brutal von diesem Gedanken los. Es wäre auch ein Land, wo das elfte Gebot vorherrschend sein würde, mehr sogar als sonstwo, regiert von einem Fanatiker, der die Saat des Katholizismus noch weitaus mehr über das Land ergießen wollte, als das hier der Fall war.
    Er war fast bei seiner Tür angekommen, als er die Rikscha sah, daneben Harry und Buckel-Pete, die sich über irgend etwas beugten. Die Nachricht vom Erscheinen des Blinden Stephan hatte die Straßen fast leer gefegt, die beiden Männer waren deutlich zu erkennen. Boyd eilte ihnen entgegen, und in diesem Moment hoben sie gerade eine schlaffe Gestalt aus der Rikscha. Es war die Gestalt Ellen Serkins, wenn auch fast bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Ihr Gesicht war schmal, das, was von dem Kleid noch übrig war, hing lose herab. Ein Ärmel war abgerissen, am Rücken hatte sie einen langen Kratzer. Sie war schmutzig, ihr Haar halb offen und klebte an ihrem Gesicht. Doch noch im Vorwärtsstürzen sah er, daß sie atmete.
    Er fing sie aus Harrys Armen auf und wandte sich zur Treppe. „Was ist denn geschehen?“
    Harrys Stimme echote in der weitläufigen Halle. „Ich fuhr von einem späten Ausflug nach Hause zurück

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