Das elfte Gebot
See erreichte. Wir können Ihnen nicht helfen. Wir wissen noch nicht einmal, was für Nationen gerade miteinander kämpfen oder ob Clemens immer noch in Rom sitzt.“
„Warten Sie einen Augenblick. Was meinen Sie damit, welche Nationen gerade miteinander kämpfen? Ich dachte der römische Glaube hätte in Europa gewonnen.“
„Als Glaube schon.“ Die Stimme von Vater Semper klang mit einmal traurig. „Doch es gibt kein Ende für den Hochmut der Menschen. Der Bischof von Rom ist nicht auch der Herrscher, so wie Bonaforte das hier ist. Das war er noch nie. Und hochmütige Männer fuhren Krieg mit anderen hochmütigen Männern, so wie das schon immer in der ganzen, bekannten Geschichte des europäischen Kontinentes der Fall war.“
Eine Minute lang blieb Boyd mit gesenktem Blick stehen. Er nickte verstehend und wandte sich zur Tür. „Vielen Dank für den Versuch, Vater Semper. Vielleicht bin ich nur gekommen, weil ich Sie mag.“
„Ich mag Sie auch“, sagte der alte Mann. Er stand lächelnd auf und streckte die Hand aus. „Das war gut gesprochen, mein Sohn, frei von Stolz und Hochmut. Sie lernen. Und wenn Sie – von sich aus – gelernt haben, den Frieden nur in Ihrem Inneren zu suchen, dann kommen Sie zurück zu uns.“
Für eine Weile war es eine nette Illusion gewesen, dachte Boyd. Die englische Geschichte hatte ihn schon immer in ihren Bann geschlagen. Er hatte ein friedliches und geeintes Europa gesehen, unter der losen Kontrolle der Römischen Kirche, das sich langsam zum Status des England des sechzehnten Jahrhunderts entwickelte. Er hatte dabei allerdings vergessen, daß es außer dem elften Gebot auch noch andere Exzesse gab und England sogar schon mit Rom Krieg geführt hatte.
Aber irgendwo mußte es doch eine Antwort geben. Kein System konnte überdauern ohne solide Grundlage. Wenn die Notwendigkeit vorüber war, dann kamen andere Kräfte auf und überwogen sie. Aber wo in dieser verrückten Welt waren diese Kräfte? Er hatte alles versucht, aber nichts hatte sich als hoffnungsvoll erwiesen.
Mort erwartete ihn, als er zu seinen Räumen zurückkehrte. Er folgte Boyd, der überhaupt nicht in Stimmung für das anstehende Gespräch über Drogen war. Aber dieses Mal, völlig überraschend, hatte Mort ganz andere Dinge im Sinn.
„Wollen Sie mitkommen zu einem Sabbat?“ fragte er. „Sie wissen doch, Hexerei und solche Sachen? Ich werd’ Sie mitnehmen, wenn Sie Ihr Maul halten und nichts von dem erzählen, was Sie sehen. Mit Ihrer Ausbildung verstehen Sie doch sicher, daß manche Dinge für andere Leute gemacht werden müssen. Nun?“
Boyd hatte die Hexerei aus seinen Gedanken verdrängt gehabt. Der Name war abstoßend, ein finsterer Sinn schwang darin mit, der keine ernsthafte Betrachtung zuließ. Doch das Wort war immer und immer wieder erwähnt worden, seit er auf der Erde war, es schien sich um eine Bewegung, eine Kraft zu handeln, die von der Kirche streng bekämpft wurde.
Morts Beweggründe lagen auf der Hand. Er wollte Boyd so sehr in seine finsteren Geschäfte hineinziehen, bis diesem keine Möglichkeit des Entkommens mehr blieb und er ihn zur Herstellung der verbotenen Drogen zwingen konnte. Aber Morts Spiel war ein wenig zu offensichtlich, vielleicht hatte er daher noch nie das große Geld gemacht, hinter dem er so wild und doch immer vergeblich herzujagen schien.
„Gut“, stimmte er zu. „Wie weit?“
„Nicht allzuweit von meinem Haus entfernt. Sehen Sie, Doktor, ich habe großes Vertrauen zu Ihnen. Ich werde Ihnen nicht einmal die Augen verbinden. Aber lassen Sie nach dem Sabbat kein Wort darüber verlauten, ich habe noch immer Beweismittel gegen Sie in der Hand. Ich verbrannte die meisten von den Dingern, aber ich habe noch immer genug, um zu beweisen, daß sie vom Mars kommen – und das bedeutet, von Ihnen.“
Boyd nickte. „Gut, daß Sie mich erinnern. Ich wollte die ganze Zeit schon einen Bericht über ein paar Gegenstände machen, die während meiner Abwesenheit aus meinen Zimmern gestohlen wurden. Nichts Besonderes, nur ein paar Kleinigkeiten, die ich sowieso wegwerfen wollte. Doch in den falschen Händen könnten sie ernste Folgen haben. Sie haben nicht zufällig jemanden herumstreunen sehen, während der Zeit, als Sie dort waren, oder doch, Mort?“
Mort betrachtete Boyd eine Minute lang mit saurer Miene. Dann öffnete sich sein breiter Mund zu einem Grinsen. Doch sein Lachen hatte einen nervösen Unterton. „Doktor, Sie sind in Ordnung. Ich mag Sie. Sie sind ein
Weitere Kostenlose Bücher