Was habe ich getan?
Vor zehn Jahren
Kathryn Brooker schaute zu, wie er sein Leben aushauchte. Sie war überzeugt zu sehen, dass der böse Geist seinen Körper verließ, sogleich im Boden verschwand und sich immer tiefer abwärts schlängelte.
Sie lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und atmete tief durch. Sie hatte ein Hochgefühl erwartet oder zumindest Erleichterung. Was sie nicht vorausgesehen hatte, das war die Benommenheit, die sie im Moment umfing. Als ihr in den Sinn kam, dass ihre Kinder nebenan schliefen, schloss sie die Augen und wünschte ihnen einen tiefen, gesegneten Schlaf. Sie wusste, es würde für eine ganze Weile der letzte sein. Wie immer kreisten ihre Gedanken darum, was für ihren Sohn und ihre Tochter das Beste war.
Das Zimmer wirkte trotz der blutüberströmten Leiche auf dem Bett ziemlich leer. Die Atmosphäre war friedlich, die Temperatur gerade richtig.
Kathryn verspürte einen leichten Anflug von Enttäuschung: Sie hatte erwartet, mehr zu fühlen.
Nachdem sie in ihre Jeans geschlüpft war und sich einen Pullover übergezogen hatte, stand sie gelassen neben dem Bett, auf dem der bleiche Leichnam ihres Mannes lag. Nach reiflicher Überlegung wählte sie zum ersten Mal in ihrem Leben die 110. Es fühlte sich unwirklich an, das in die Tat umzusetzen, was sie in Gedanken seit einer Ewigkeit immer wieder durchgespielt hatte. Allerdings hatte es sich bei dem Notfall in ihrer Vorstellung immer darum gehandelt, dass sich eines ihrer Kinder ein Bein gebrochen hatte oder in einem leeren Haus in der Nachbarschaft Feuer ausgebrochen war, um nichts allzu Dramatisches jedenfalls.
»Notrufzentrale, mit wem kann ich Sie verbinden?«
»Ach, hallo, ja, ich bin mir nicht sicher, mit wem Sie mich verbinden sollten.«
»Sie sind sich nicht sicher?«
»Ich glaube, wahrscheinlich mit der Polizei oder dem Notarzt, vielleicht mit beiden. Tut mir leid. Wie gesagt, ich bin mir nicht sicher …«
»Darf ich fragen, worum es geht, Madam?«
»Ach ja, selbstverständlich. Ich habe gerade meinen Mann umgebracht.«
»Entschuldigung. Sie haben was getan? Die Verbindung ist furchtbar schlecht.«
»Verstehe. Tut mir leid, ich werde ein bisschen lauter sprechen. Die Leitungen hier sind immer schlecht, selbst wenn ich jemanden ganz in der Nähe anrufe. Das liegt daran, dass ich oben im Schlafzimmer bin und der Empfang miserabel ist. Mein Sohn meint, das könnte an den vielen hohen Bäumen um unser Haus herum liegen. Wir haben sie einmal stark zurückgestutzt, aber ich kann mich nicht erinnern, ob sich der Empfang dadurch verbessert hat. Außerdem gibt es Störungen durch die Computer im Nachbargebäude. Wir hatten geplant, das einmal überprüfen zu lassen, aber das spielt jetzt keine Rolle mehr. Also, ja. Ich sagte, dass ich meinen Mann umgebracht habe.«
Kathryn blinzelte zur sirrenden Neonröhre hinauf, die über ihrem Kopf flackerte. Die Röhre musste ausgetauscht werden. Das war eine Ablenkung, die einem schnell auf die Nerven gehen konnte.
»Hast du es getan?«
Roland Gearing stützte sein Gewicht auf die gespreizten Finger, und seine Hände bildeten kleine Pyramiden, die erstaunlicherweise seinen muskulösen Oberkörper trugen, als er sich so über den Tisch beugte. Er senkte die Stimme um eine Oktave. Diese Frage musste er ihr stellen, und er fürchtete sich vor ihrer Antwort.
»Ob ich es getan habe?«
»Ja, Kathryn, hast du es getan?«
Er blickte ihr fest in die Augen und hoffte, damit Vertrauen zu wecken, ihr eine ehrliche Antwort zu entlocken. Mit Lügen kannte er sich aus und vertraute auf sein Bauchgefühl. Jahre der Arbeit hatten ihn gelehrt, genau auf die Pupillen des Befragten zu achten.
»Das ist eine Frage, die ich normalerweise nicht in einem so frühen Stadium der Ermittlungen stellen würde, aber als dein Freund – und auch als Marks Freund – bin ich der Meinung, dass ich das tun muss. Ist das okay?«
»Ja, ja, natürlich. Ich verstehe.«
Sie lächelte ihn kurz an, während sie mit Daumen und Zeigefinger die Haare erst hinter das linke, dann hinter das rechte Ohr schob.
Ihre gelassene Haltung verwirrte ihn. Sie zeigte nichts von der Hysterie oder der Angst, die solche Befragungen gewöhnlich kennzeichneten. Frauen in ähnlichen Situationen waren häufig fast wahnsinnig vor Panik, Wut oder der Angst vor Ungerechtigkeit. Doch Kathryn machte einen gelassenen Eindruck.
Sie erinnerte sich an die glasigen Augen ihres Mannes. An die Art und Weise, wie seine Finger von der unsichtbaren Würgeschlinge
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