Das elfte Gebot
Dämpfer, damit er wieder auf den Teppich zurückkam. Er hatte es sich zu sehr als Verdienst angerechnet, Sie zuzulassen. Sie hätten sein Gesicht sehen sollen, als die chemische Analyse hereinkam. Er wußte nicht, ob er es glauben sollte oder nicht. Kommen Sie jetzt, Doktor?“
„Ich habe noch nicht aufgegessen“, sagte Willmark. „Und Jensen ebenfalls noch nicht.“
Boyd war zwar fertig, blieb aber ruhig sitzen, während Gordini, der sich immer noch nicht beruhigen konnte, fortging. Er fragte sich, wieviel Hilfe er wohl erhalten hätte, wenn Gordini nicht in allem eine Gelegenheit gewittert hätte, seinem nominellen Vorgesetzten eins auszuwischen. Dann wandte er sich Willmark zu.
Der Doktor goß beiden noch eine Tasse koffeinhaltigen Getränks nach und nahm für sich Zucker. „Sie sind ein Narr“, sagte er ruhig. „Ein Narr mit einem geradezu unglaublichen Glück. Ich wünschte dennoch, ich hätte die Möglichkeit, aus Ihnen einen richtigen Arzt zu machen. Das Material, das ich heutzutage erhalte, ist jämmerlich. Sollte Sie demnächst wieder einmal eine dieser hirnverbrannten Ideen heimsuchen, schlage ich vor, daß Sie vorher zu mir kommen, um zu erfahren, wieviel wir bereits wissen. Beispielsweise ergibt dieser Fall, wie ich selbst nachprüfte, eine neue Behandlungsmethode – allerdings mit einem verbotenen Kortikosteroid, was bedeutet, daß wir es nicht anwenden können. Wir kennen seit fünfzig Jahren Methoden, um Voigts Thrombozytose – so lautet der Name für diese Art von Bluterkrankheit – zu behandeln. Sie ist nebenbei gesagt ansteckend; das ist kein Aberglaube. Und sie wird von einem infektiösen Virus verursacht, der Antikörper im Blut hervorruft, die wiederum die kleinen Körperchen attackieren. Nur Männer holen sich die Krankheit, obendrein nur erblich Rezessive. Die armen Teufel überleben manchmal bis zu zwei Jahren, gewöhnlich sterben sie aber früher.“
Er trank aus und goß nach. „Etwa zehn Millionen Fälle haben wir davon pro Jahr. Die Kosten für so viel Kortison könnte sich unsere Gesellschaft in keinem Fall leisten. Ich weiß, der Ihnen bekannte Herstellungsprozeß wird das Mittel zur Genüge verbilligen. Das tut nichts zur Sache. Wichtig ist, daß Kortison in starken Dosen als sexuelles Beruhigungsmittel wirkt – was beinahe so schlimm wie Empfängnisverhütung wäre.“
„Aber es geht doch darum, Leben zu retten!“ protestierte Boyd.
„Genau. Leben, nicht Seelen. Bleiben Sie der Medizin fern, oder Sie verwandeln sich in das, was ich geworden bin.“ Willmark erhob sich abrupt. „Schön. Ich muß jetzt weg zur Vorlesung. Guten Tag, Dr. Jensen.“
Niemand sah auf, als Boyd das Laboratorium betrat. In der Arzneimittelausgabe hatte ein neuer Angestellter den Dienst übernommen. Vielleicht war Boyd auch noch zu neu, als daß sein Kommen und Gehen von irgend jemandem beachtet wurde. Im übrigen war es die Zeit, zu der normalerweise die meisten vom Mittagessen zurückkehrten. Eingetroffen war auch Ellen, die er über ein Tischchen in der der Tür gegenüberliegenden Ecke gebeugt erblickte. Bei seinem Eintritt fuhr sie auf.
„Wo waren Sie, Boyd? Ich kam heute morgen hier an, und alles, was ich sah, waren überall Priester. Ich habe mich ernstlich um Sie gesorgt.“
„Ich war in einer Besprechung über das Berufsethos“, berichtete er verbittert. „Ich habe allerhand hinzugelernt. Na, wie gefällt Ihnen die neue Arbeit?“
„Ganz gut, denke ich“, antwortete sie. Übermäßig begeistert klang das nicht gerade. Dann wurde sie lebhaft. „Wenigstens wird es mir jetzt möglich, Mort und Sue nicht länger zur Last zu fallen und mir ein eigenes Zimmer zu nehmen. Vielleicht fällt auch noch neue Kleidung ab. Ich wollte immer schon gern einen roten Nylonanzug haben.“
Unwillkürlich mußte er lachen. „Nur zu, schaffen Sie sich einen dieser hochmodernen Nylonanzüge an und besorgen Sie sich ein eigenes Zimmer! Das wird bestimmt eine Kettenreaktion auslösen!“
Errötend, aber erkennbar nicht aus Ärger, schaute sie sich unauffällig nach allen Seiten hin um. „Pscht! Sagen Sie nicht so was! Überall hier sind doch Priester.“ Danach wurde sie wieder ernst.
Den Nachmittag über bemerkte er, daß sie jedesmal, wenn Benjamin Muller oder sonst ein Priesterwissenschaftler hereinkam, in Aufregung geriet. Ihre Augen verfolgten sie bis weit in den Flur hinein. Anfangs dachte er, daß vielleicht Ehrfurcht Schuld daran sei. Ellen war im gleichen Maße religiös,
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