Das elfte Gebot
wurde.
In dem alten, vertrauten Labor der Kathedrale ertönte ein Schrei bei seinem Eintritt. Alle drängten sich um ihn, hießen ihn willkommen und beglückwünschten ihn. Er fühlte, wie sein Gesicht sich unter dem Ansturm warmherziger Gefühle, die in ihm aufkeimten, rötete, seine Kehle war wie zugeschnürt. Als sie sich wieder zerstreuten und er endlich in sein eigenes Labor zurückkehren konnte, zitterten seine Hände ungemein, und er konnte kaum die gröbsten Werkzeuge handhaben.
Während er wartete, verschwand das Hochgefühl und hinterließ nur einen schalen Nachgeschmack. Eine Stunde verging, bevor er sich den wahren Grund seines Zorns eingestand. Dann verfluchte er sowohl sie als auch sich selbst. Zum Teufel mit ihr! Sie hätte zumindest unter der Gruppe sein und ihm zunicken oder an seiner Tür vorübergehen und ihm eine, wenn auch nur kalte und formale, Gratulation aussprechen können! Ihre Arbeit für Morrow konnte sie gar nicht so sehr beschäftigen! Und wenn doch, dann war das nicht seine Sache, er würde ganz bestimmt nicht nach ihr suchen!
Ben kam später zu ihm, er setzte sich und beobachtete Boyd, der versuchte, wieder in die Routine seiner Arbeit hineinzukommen. Schließlich seufzte der Priester und schloß die Tür.
„Sie ist nicht hier, Boyd“, sagte er. „Sie ist seit über einer Woche nicht mehr hier. Sie hat einfach gekündigt und ist gegangen, eines Tages, niemand weiß, weshalb und wohin sie gegangen ist. Ich habe bereits Nachforschungen angestellt.“
Boyd fühlte heiße Worte der Verneinung in sich aufsteigen, doch er schluckte sie herunter. Er ließ sich in den Laborstuhl fallen und bemühte sich, Ordnung in die Mischung aus Verzweiflung und wildester Spekulation in seinem Kopf zu bringen. „Danke, Ben“, sagte er schließlich. „Sie können mir aber ruhig alles sagen. Lag es an Morrow?“
„Nein. Ich habe ihn bereits gefragt, er war ebenso verwirrt wie ich.“ Ben grinste trocken. „Oh, natürlich hat er einen Versuch bei ihr gestartet. Sie war freundlich, aber kühl, und sagte ihm, fürs erste hätte sie genug von allen Männern. Komisch – Morrow scheint ihr geglaubt zu haben, und so zweifelnd an seinem Charme kenne ich ihn gar nicht. Aber er ließ sie in Ruhe; sie war eine zu gute Hilfe, er wollte sie nicht verlieren. Zehn Tage später oder so ging sie, mitten in ihrer Arbeit, er untersuchte gerade den Ausbruch eines neuartigen Ausschlags bei Kindern. Sie sagte, sie wäre am Ende, aber sie sagte nicht, weshalb. Und dann ging sie, Schluß.“
Er wartete noch eine Sekunde, dann schlug er Boyd leicht auf die Schulter. „Wie ich gesehen habe, wartet Ihr Rikschafahrer bereits draußen auf Sie. Sie gehen wohl besser nach Hause und fangen morgen noch einmal von vorne an.“
Das war ein vernünftiger Vorschlag, den Boyd gerne annahm. Doch zuvor stattete er Morrows Labor noch einen kurzen Besuch ab. Der Mann war verwirrt, leicht defensiv, aber im großen und ganzen freundlich. Er wiederholte die Geschichte, die Ben ihm bereits erzählt hatte, wobei er allerdings stärker auf Ellens Arbeit einging. Das war eine ermüdende Liste von Fallstudien, gesammelt von Leuten, denen jedes Geschick für eine solche Arbeit fehlte, in denen ein gemeinsamer Faktor gefunden werden mußte. „Nr. NC73-HM&L21-817-23-8906, männlich, 2 Jhr. Domizil St. Wanja, S. Angelika, Aufnahme. Große, rote Flecken, so groß wie eine Münze. Weinte die ganze Nacht. Unangenehmer Geruch, als die Flecken am nächsten Tag aufbrachen. Schorfbildung. Geheilt. Dann erneuter Ausbruch, am ganzen Körper …“
Da waren Hunderte solcher Karten, die offensichtlich alle keinen Hinweis ergaben. Boyd stieß sie angeekelt von sich.
„Sie hätten sie heiraten sollen“, sagte Morrow plötzlich. „Ich meine …“
Boyd nickte. „Diese Idee hatte ich auch schon – aber da war es bereits zu spät.“
„Unsinn. Sie war verrückt nach Ihnen.“
„Hat sie Ihnen das gesagt?“ fragte Boyd scharf.
Morrow schüttelte den Kopf. „Nein. Aber sie blieb meistens noch lange, nachdem wir hier fertig waren, und erledigte die Arbeit, die Sie liegengelassen hatten. Sie hat sogar Ihr Labor jeden Tag abgestaubt.“
Boyd grunzte. Das entsprach genau ihrer Art. Er murmelte Morrow seinen Dank zu und ging.
Harry wartete geduldig. Er lächelte und salutierte halb zum Gruß. „Hörte, Sie sind wieder zurück, Doktor. Wir haben Sie vermißt.“
„Ich habe Sie auch vermißt, Harry“, antwortete Boyd, und es stimmte. Doch dann
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