Das Ende - Alten, S: Ende
gesagt, Scythe müsste bis März, spätestens bis April fertig sein.«
»April?« Mit einem Schürhaken auf die Glut einstechend, entzündete Andrew das Scheit, dann hockte er sich auf die Schwelle vor dem Kamin und sah sie an. »Mary, Timing ist alles. Bis April könnten wir in eine
ausgewachsene Invasion verwickelt sein. Das Letzte, was wir wollen, ist, dass die CIA zu der Überzeugung gelangt, wir seien ersetzbar …«
»Andy, für den Fall, dass du es vergessen hast: Das Baby soll in ein paar Wochen kommen.«
»Der Arzt sagte, Januar.«
»Der Arzt irrt sich. Außerdem nehme ich mir mindestens sechs Monate frei zum Stillen.«
»Sechs Monate? Mary, jetzt hör aber auf. Die Zukunft der freien Welt steht auf dem Spiel!«
»Sei nicht so melodramatisch. Ich hab ohnehin nur Spaß gemacht. Scythe ist dem Zeitplan um einiges voraus. Jetzt trink deinen Kakao aus, damit du mir die Füße massieren kannst.«
»Oh Mann, du hast mir einen ganz schönen Schrecken eingejagt.« Erleichtert leerte er den Becher und wischte sich den Mund mit dem Hemdsärmel ab. »Aber ernssa… ernssaff… ernss…« Andrew ging in die Knie, und die gleiche Taubheit, die er in seinen Lippen spürte, kroch ihm die Beine hoch. »Wa… wie…?«
»Keine Bange, Liebling, die Lähmung wird deine Atmung wahrscheinlich nicht beeinflussen – vorausgesetzt, ich habe die Dosis richtig bemessen. Du sagtest doch, du wiegst 91 Kilo? Oje … Ich hab dein Asthma vergessen. Fällt dir das Atmen schwer?«
Mary nippte an ihrem Kakao und zuckte leicht zusammen, als Andrew Bradosky mit der Stirn auf den Ahorn-Holzfußboden schlug.
TEIL 2
DAS ENDE DER TAGE
Anmerkung des Herausgebers:
Guy de Chauliac, auch bekannt als Guido de Cauliaco, war während der Mitte des 14. Jahrhunderts der Leibarzt von drei Päpsten und gilt als der bedeutendste medizinische Autor des Mittelalters. Sein Hauptwerk, Inventarium sive chirurgia magna (»Bestandsaufnahme der Medizin«), blieb bis zum 18. Jahrhundert der wichtigste didaktische Text über Chirurgie.
»Well, I just got into town about an hour ago …
Took a look around, see which way the wind blow
Where the little girls in their Hollywood bungalows
Are you a lucky little lady in the city of light,
Or just another lost angel … city of night
City of night, city of night, city of night …«
THE DOORS, »L.A. Woman«
BIOLOGISCHE KRIEGSFÜHRUNG, PHASE I
INSEMINATION
20. DEZEMBER
New York City
8:19 Uhr
(23 Stunden, 44 Minuten vor dem prophezeiten Ende der Tage)
Manhattan: ein Insel-Mekka, umgeben von Wasser.
Der Harlem River wälzte sich an der Bronx vorbei nach Süden und verbreiterte sich zum East River – von Schaum gekrönte Wellen hinter einer starken Vier-Knoten-Strömung. Von der anderen Seite des New Yorker Hafens winkte die Freiheitsstatue den Reisenden zu. Weiter nördlich wurde der Wasserweg zum mächtigen Hudson; der Fluss trennte den Big Apple von der nordöstlichen Uferlinie New Jerseys.
Städtische Gewässer, eiskalt und trübe. Eine Augenweide für Grundstücksmakler und Touristen. Von Pendlern tagtäglich ignoriert, ein durch ein Dutzend Brücken und Tunnels neutralisiertes natürliches Hindernis.
Nicht heute.
Eine winterliche Sonne sprenkelte die Skyline von Manhattan mit flüchtigen goldenen Glanzlichtern. Wegen endloser Baustellen kam der Verkehr nur im Schneckentempo voran. Die Gemüter erhitzten sich. Zehntausende
neuer Kurznachrichten starteten in den Cyberspace. Dampf stieg aus Gullydeckeln und Abluftschächten auf. Warme Inseln lockten die Obdachlosen an wie das Licht die Motten. Wogen von Fußgängern schenkten ihrer Schmach keine Beachtung. Ebenso wenig wie den Flüssen.
Die beißende Kälte schmerzte an ungeschützten Ohren und schniefenden Nasen. Der Schnee von gestern Abend, bereits zu Matsch zertrampelt. Weihnachtsbäume. Festbeleuchtung. Der Duft von warmem Plundergebäck und Zimt.
Donnerstag vor Weihnachten. Der bevorstehende Feiertag gab Manhattans Erwerbsbevölkerung neuen Schwung. Menschliche Sardinen füllten U-Bahnen und Züge. Eine halbe Million Fahrzeuge verwandelten die Schnellstraßen in Rushhour-Parkplätze. Geschäftemacher und Gauner. Einkäufer und Verkäufer. Anwälte und Laien und Eltern, die ihre Kinder zur Schule brachten. Angetrieben von Koffein und von Träumen und von nach Jahren im Großstadtdschungel verfeinerten Überlebensinstinkten. Zwei Millionen Pendler und Touristen kamen jeden Tag nach Manhattan. Zu dieser Zahl hinzu kamen weitere
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