Macabros 124: Drudan, der Mysterienmacher
»Wollt ihr wirklich bei diesem Wetter noch fahren?«
fragte Olivia besorgt und spannte den Regenschirm auf.
Es goß in Strömen.
Der Regen klatschte auf den schmalen Weg aus Kopfsteinpflaster vor
dem kleinen, abseits gelegenen Haus, das einst Teil eines
Gehöfts gewesen war, in das Olivia Pascal vor sieben Jahren
eingezogen war.
Sie lebte einsam hier in der Camarque.
Dominique Monde, eine attraktive Dreißigerin, die aussah wie
eine rassige Zigeunerin und das lange schwarze Haar als
Pferdeschwanzfrisur trug, winkte ab und schloß ihre Jacke.
»Wir wollen nicht, wir müssen«, sagte sie.
Ȇberlegt es euch doch noch mal. Bei diesem Wetter
schickt man keinen Hund auf die Straße, und ihr wollt noch bis
Paris fahren«, warf Olivia ein. »Bleibt über Nacht
hier und fahrt morgen früh. Hier ist Platz genug.«
»Und gemütlich ist’s auch«, schaltete sich
Catherine Royer ein. Dominiques Freundin, die diese aus der
Seine-Metropole mitgebracht hatte.
Catherine war klein und zierlich und hatte das kastanienbraune
Haar kurzgeschnitten.
»Es hilft alles nichts«, drängte Dominique zur
Eile. »Um zehn Uhr hab’ ich einen Termin, den ich nicht
verschieben kann. Produzenten läßt man nicht warten.«
Sie war Chanson-Sängerin und plante eine Langspielplatte mit
neuen Liedern. »Je länger wir hier stehen, desto schwerer
wird der Abschied und schließlich lassen wir uns dann doch noch
überreden…«
»Genau das will ich vielleicht erreichen«, sagte Olivia
schnell.
»Kommt nicht in Frage!«
Dominique lief los.
Ihr weißer Peugeot stand nur drei Schritte vom Hauseingang
entfernt.
Sie riß die Wagentür auf und kroch ans Steuer.
Catherine nahm Platz neben ihr.
Der Regen trommelte aufs Dach, spritzte vom Steinpflaster und der
Kühlerhaube in die Höhe. Das gelbliche Licht über dem
Eingang des alten Hauses sah aus wie in Wasser getaucht, so dicht war
die Regenflut.
Die Freundinnen riefen sich noch einige Worte zum Abschied zu,
dann startete Dominique Monde.
Sie fuhr aus dem Vorhof auf einen holprigen Weg, der mitten durch
Feld führte.
Die Fahrerin hupte noch mal kurz. Im Rückspiegel sah
Dominique, wie Olivia Pascal mit dem Regenschirm in der Hand im Haus
verschwand und die schwere Holztür ins Schloß
drückte.
Dominique Monde lehnte sich zurück und schaltete das Radio
ein. Der Sender Paris brachte einschmeichelnde Melodien.
»Die richtige Zwölfuhr-Musik«, sagte Catherine und
zog ihre Strickjacke zu. »Das ist die Stimmung, wie ich sie
liebe… ein bißchen müde, aber nicht zu müde, um
alles noch mitzubekommen…, das monotone Geräusch des
laufenden Motors… der prasselnde Regen… im trockenen,
warmen Auto sitzen und dann Musik hören… Musik zum
Träumen…«
Der Peugeot erreichte die Straßenkreuzung, an der es links
ab nach Arles ging.
Unweit der Kreuzung stand ein altes, verfallenes Haus, an dessen
Front in verwaschenen Buchstaben das Wort »Hotel de
Camarque« zu lesen war.
Fahles Licht über dem Eingang und zwei parkende Wagen
ließen den Schluß zu, daß in dem Haus noch
Gäste abstiegen. Dabei sah es aus, als würde der heftige
Regen in kurzem den letzten Rest Farbe verwischen und auch noch den
morschen Verputz herunterspülen.
Diesen markanten Punkt kannte Dominique.
Sie wußte genau, daß nach der Kreuzung die einsame
schmale Straße, die durch die flache Landschaft führte,
nach wenigen hundert Metern einen scharfen Bogen nach rechts machte.
Arles lag rund dreißig Kilometer entfernt. Bis dahin war auf
der engen und schlechten Straße bei diesem Wetter ein rasches
Vorankommen unmöglich. Von Arles bis Avignon würde es dann
besser werden, von dort aus war es über die Autobahn nach Paris
überhaupt kein Problem mehr.
St. Alba, wie das Gut hieß, das die Malerin Olivia Pascal
erworben hatte, lag am äußersten Rand der Camarque.
Hierher verirrten sich nicht mal Touristen.
Darauf legte die Naturliebhaberin auch keinen Wert. Sie
beobachtete die Schwärme von Vögel, die wildlebenden
Pferde, die sich manchmal bis an die verwitterten Mauern des
ehemaligen Gutes heranwagten…
Dominique Monde fuhr im Schrittempo. Auf der mit
Schlaglöchern übersäten Straße stand das Wasser,
und neben der Fahrbahn waren in der Zwischenzeit kleine
wildreißende Bäche entstanden, die braune Erde,
abgerissene Zweige, Laub, Papier und allerlei Unrat auf die
Straße spülten.
Die Dunkelheit ringsum war wie ein Mantel. Das Scheinwerferlicht
wurde vom Regen und der nassen Straße
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