Das Ende - Alten, S: Ende
Ordnung, du knallharter Kerl.«
»Glaubst du etwa, ich mache Spaß?«
»Wir sind Seelengeschwister. Du kannst deinen Seelengefährten nicht verlassen.«
»Eine Abmachung ist eine Abmachung. Wenn du das Team jetzt verlässt oder anfängst, dir Nadeln in den Arsch zu stechen, bin ich auf der Stelle weg. Ich und meine Tochter.«
»Warum tust du das?«
»Weil Dad zu krank ist, um dir selbst den Kopf zu waschen. Weil wir uns an dem Tag, als du erfuhrst, dass ich schwanger war, auf einen Plan geeinigt haben. Du musst erfolgreich sein, Shep. Mach jetzt keinen Rückzieher. Wir zählen auf dich.«
Patrick Shepherd richtete sich im Bett auf, keuchend. Sein Körper war schweißgebadet, sein Verstand hatte einmal mehr Mühe, seine neue Umgebung zu erkennen.
»Das muss ein heftiger Traum gewesen sein.«
Shep drehte sich erschrocken um.
Der alte Mann lehnte sich in dem Schreibtischstuhl zurück und beobachtete ihn. Mehr alternder Hippie als älterer Mitbürger. Eine lange Haarmähne, silberweiß, über eine gebräunte Stirn nach hinten zu einem fünfzehn Zentimeter langen Pferdeschwanz gerafft. Ein passender Schnauzer und ein gestutzter Bart rahmten die Kieferpartie ein bis hinunter zum Adamsapfel. Die Augen waren blau, freundlich, aber wissbegierig und hinter einer Pilotenbrille mit burgunderrot getönten Gläsern verborgen. Er trug ausgeblichene Bluejeans, braune Wanderschuhe und einen dicken grauen Wollpullover über einem schwarzen T-Shirt. Mit seiner leichten Wampe ähnelte er einer älteren und gesunden Version des verstorbenen Sängers und Gitarristen der Grateful Dead, Jerry Garcia, wenn der seine mittleren bis späten Siebziger noch erlebt hätte.
»Wer sind Sie? Was tun Sie in meinem Zimmer?«
»Ein Freund von Ihnen hat mich geschickt, damit ich mit Ihnen rede. Meinte, Sie bräuchten irgendwie Hilfe. Übrigens, wer ist Trish?«
»Trish?«
»Sie haben laut ihren Namen gerufen.«
»Sie meinen Beatrice. Beatrice ist … war meine Frau. DeBorn hat Sie geschickt. Sie sind der Seelenklempner.«
Der alte Mann lächelte. »Wahrscheinlich nicht gerade das, was Sie erwartet haben, als Sie um Hilfe baten.«
»Sie sehen eher aus wie ein Flüchtling aus den Sechzigern als wie ein Psychiater.«
»Wie sollte ein Psychiater denn aussehen?«
»Ich weiß nicht. Klüger.«
»Mehr konnte ich so kurzfristig nicht tun. Soll ich mir den Bart abnehmen?«
»Mann, mir ist völlig schnuppe, wie Sie aussehen. Und nur um eine Sache klarzustellen, DeBorn ist nicht mein Freund. Er benutzt mich nur für irgend so eine neue Army-Rekrutierungspolitik von ihm. Sie sollten von vornherein wissen, dass ich es nicht mache.«
»Okay.«
»Okay? So mir nichts, dir nichts?«
»Nun ja, wir könnten Sie vermutlich foltern, aber ich war immer schon ein Befürworter des freien Willens.«
»DeBorn wird Sie nicht bezahlen, wenn ich nicht tue, was er sagt.«
»Kümmern wir uns nicht um Mr. DeBorn. Außerdem, was zwischen uns gesprochen wird, bleibt unter uns. Ist das nicht so üblich?«
»Die Sache ist komplizierter. Er kann mich daran hindern, meine Familie zu sehen.« Shep rutschte vom Bett und zog sich mit der rechten Hand das schweißnasse T-Shirt aus, wobei er es vorsichtig über seine neue Armprothese zog.
»Hat er Sie bis jetzt daran gehindert, sie zu sehen?«
»Tja … nein.«
»Warum haben Sie sie dann nicht gesehen?«
»Ich war wohl noch nicht so weit.«
»Aber jetzt sind Sie so weit?«
»Ja.«
»Gut. Wie lange ist es her, seit Sie sie zuletzt gesehen haben?«
»Zu lange. Elf Jahre, ungefähr. Ich kann mich kaum erinnern.«
»Warum sie dann überhaupt sehen? Wie’s aussieht, würden Sie bloß alte Wunden aufreißen.« Der Psychiater nahm die ledergebundene Ausgabe von Dantes Inferno in die Hand, die auf dem Schreibtisch lag, und durchblätterte beiläufig die abgewetzten Seiten.
»Alte Wunden? Es ist meine Familie. Ich habe gerade erfahren, dass sie hier sind, in Manhattan.«
»Sie wollen sagen: Ihre von Ihnen getrennt lebende Familie. Elf Jahre sind eine lange Zeit – ungefähr. Als Ihr Seelenklempner würde ich sagen, es wird Zeit, dass Sie sich weiterentwickeln.«
»Sie sind nicht mein Seelenklempner … Und könnten Sie wohl dieses Buch hinlegen! Leihen Sie sich’s in der Bücherei aus, wenn sie’s unbedingt lesen wollen.«
»Oh, ich habe es gelesen.« Er drehte das Buch um und las laut die Inhaltsangabe. »Dantes Göttliche Komödie, geschrieben von Dante Alighieri zwischen 1308 und 1321, gilt weithin als
Weitere Kostenlose Bücher