Das Ende - Alten, S: Ende
York
Inwood Hill, New York
13:51 Uhr
Genau an der nördlichen Spitze der Insel gelegen, war Inwood Hill ein Viertel von Manhattan, das anders war als alle anderen. Hier gab es keine Wolkenkratzer. Der Harlem River markierte die nordöstliche Grenze des Viertels, direkt im Süden lagen Washington Heights und der Highbridge Park. Zu den Wahrzeichen im Westen von Inwood Hill zählten die Sportplätze, die zur Columbia University gehörten und die sich unmittelbar
an ein stark bewaldetes hügeliges Gelände schmiegten, das tausend Meilen vom Big Apple entfernt zu sein schien.
Dies war der Inwood Hill Park, der einzige natürliche Wald, der in Manhattan noch übrig war. Wenn man seinen felsigen Gipfel erklomm, wurde man mit einem großartigen Blick auf den Hudson belohnt. Wenn man sein dichtes Gehölz erkundete, konnte man uralte Höhlen entdecken, die einst, lange vor der Ankunft der ersten Europäer, von den Lenape-Indianern bewohnt gewesen waren.
Der schwarze Chevy Suburban fuhr nach Inwood Hill hinein, wendete an der Kreuzung Broadway und Dyckman Street und parkte.
Bertrand DeBorn stieg aus dem Fond des Wagens und knallte die Tür zu. Nachdem er die Straße überquert hatte, ging er zu einer der neuen Internet-Telefonzellen, die in Manhattan aufgestellt worden waren, vergewisserte sich, dass der Apparat betriebsbereit war, und wählte dann eine Nummer auf seinem Handy.
»Ja?«
»Ich bin’s. Rufen Sie mich unter 212-433-4613 zurück.« Der Verteidigungsminister legte auf, wartete und schnappte sich beim ersten Klingeln den Hörer des Münzfernsprechers. »Was ist passiert?«
»Irgendjemand hat Scythe freigesetzt.«
DeBorn bekam eine Gänsehaut. »Wo? Wann?«
»Auf der UN Plaza. Vor ungefähr fünf Stunden.«
»Vor fünf Stunden? Fünf Stunden sind eine Ewigkeit. Sie haben keine Ahnung, wie schnell dieser Erreger sich in einer großen Metropole ausbreiten kann. Ich muss zur UNO, bevor sie keinen Impfstoff mehr haben …«
»Bert, Scythe wurde genetisch verändert. Keines unserer Antibiotika schlägt an.«
Dem Verteidigungsminister trat der kalte Schweiß auf die Stirn.
»Der Heimatschutz hat Manhattan komplett abgeriegelt, sodass keiner rein oder raus kommt. Wo sind Sie jetzt?«
»Im Norden. Noch auf der Insel.«
»Sind Sie sauber?«
»Im Moment noch. Ich war an einem sicheren Ort, hatte eine Besprechung mit den wichtigsten Stadträten.«
»Und?«
»Sie unterstützen den Plan, der soeben komplett fraglich geworden ist.«
»Nicht unbedingt. Denken Sie darüber nach. Wenn Scythe nächsten Monat in Teheran ausbrechen würde, könnte unmöglich jemand die Schuld …«
»Schluss jetzt! Sie haben ja keine Ahnung, was Sie da reden. Wenn Scythe in seiner momentanen Form Manhattan verlässt, sind wir alle tot. Wir alle! Ohne einen Impfstoff ist Scythe ein außer Kontrolle geratener Zug. Ich muss schnell von dieser Insel runter, bevor ich infiziert werde. Wo ist der Präsident?«
»Er wird bei der UNO unter Quarantäne gehalten. Niemand darf raus.«
»Der Präsident wird ausgeflogen, genau wie alle anderen. Sie werden alle nach Fort Detrick geschickt und dort festgehalten, solange ein Impfstoff gesucht wird. Ich muss zur UNO. Es ist meine einzige Hoffnung. Halten Sie mich über mein Handy auf dem Laufenden.«
»Bert, die Leitung ist nicht abhörsicher.«
»Kein Mensch hört zu. In Manhattan ist die Pest ausgebrochen. «
»Angesichts der Tatsache, dass das Schweinegrippevirus sich innerhalb einer Vielzahl von Ländern ausbreitet, hat die Gesundheitsbehörde der Vereinten Nationen heute den internationalen Alarmzustand auf Phase 5 auf einer Sechs-Punkte-Skala erhöht, was eine unmittelbar bevorstehende Pandemie signalisiert und alle Länder drängt, ihre Vorbereitungen zu intensivieren.«
UN-Nachrichtenzentrum, 29. April 2009
»Zur Unterbrechung des normalen Lebens könnte es aufgrund eines wirtschaftlichen Zusammenbruchs, eines außer Kontrolle geratenen Klimawandels, des Eintretens des globalen Ölfördermaximums, einer Pandemie oder irgendeiner unvorhergesehenen Kombination dieser und anderer Faktoren kommen. Was diese Aussichten besonders furchterregend macht, sind mögliche Reaktionen des Menschen darauf. Wir könnten entweder einen gesellschaftlichen Zusammenbruch erleben — bei dem es zu einem Kampf aller gegen alle um die Vorherrschaft oder ums nackte Überleben kommt – oder einen Faschismus, bei dem die Menschen aus Angst vor dem Chaos allmächtigen Führern die
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