Das Ende der Nacht: Horror-Roman (German Edition)
Studio war kalkweiß. Er hielt ein halbvolles Glas in seiner Hand und grinste verzweifelt in die Kamera.
"Gestern Abend", lallte er, "habe ich noch mit meiner Frau und meinen beiden Töchtern zu Abend gegessen. Nun sind sie tot. Sie sind alle tot, wisst ihr? Nichts macht mehr noch Sinn. Ich gebe diese Meldungen schon seit fünf Uhr durch. Wenn noch Überlebende da draußen sind, holt uns ab! Bitte!"
Er fiel auf die Knie und weinte bitterlich. Sein Körper zitterte, dann sah er wieder auf.
"Wir müssen uns doch verteidigen."
Ein Mann lief ins Bild und reichte dem Sprecher einen Zettel.
"Oh", sagte er und lachte, "eine neue Meldung ist gerade eingegangen. Der amerikanische Präsident, der unsere letzte Hoffnung gewesen war, wurde in einem Gefangenenlager in Death Valley gesichtet."
Er schmiss den Zettel von sich und schaute an der Kamera vorbei.
"Das bringt doch nichts mehr. Lasst uns Schluss machen. Wer sollte uns jetzt noch zuschauen?"
"Hast recht", rief jemand. Kurz darauf kam der Mann, der dem Sprecher den Zettel gereicht hatte, ins Bild. Der Kameramann rief ein leises "Okay" und gesellte sich zu ihnen. Sie nahmen sich in die Arme und starrten sich sprachlos an.
"Das ist das Ende", sagte der Sprecher. "Macht´s gut da draußen. Wir sehen uns..."
Michelle schaltete den Fernseher aus.
"Und, gibt es was Neues?", fragte Laura, die sich neben sie gestellt hatte und ihr eine Flasche reichte. Als Michelle ungläubig blickte, erwiderte sie darauf: "Du wirst später noch was trinken wollen."
"Danke. Und nein, nichts Neues. Die Menschheit ist ausgerottet. Wie ihr es wolltet."
Laura ging zu Kathleen, ohne einen Kommentar abzugeben.
Gabriel betrat das Wohnzimmer und setzte sich an den Schachtisch.
"Hat jemand Lust auf eine Partie?", fragte er.
Michelle trank zwei Schlucke, gesellte sich zu ihm, stellte die Flasche neben das Schachbrett und nahm auf dem gegenüberliegenden Stuhl Platz.
"Nur wenn ich beginnen darf", sagte sie.
"Okay."
Kathleen hatte den Joint fertig gedreht und zündete ihn an. Laura stellte sich den Sessel vom Fernseher neben den Schachtisch und betrachtete das Spiel.
Es wurde nicht mehr viel geredet. Um zwölf Uhr dreiundvierzig hatte Michelle ihre dritte Partie gewonnen. Gabriel überließ Laura den Stuhl, nahm den Sessel und setzte sich wieder vor den Fernseher, aber es gab nur noch Schnee. Gegen dreizehn Uhr gingen Laura und Kathleen in die Küche, um Essen zu machen. Sie aßen im Speisezimmer. Kevin wachte am frühen Nachmittag auf und betrat das Wohnzimmer gegen halb drei. Laura kümmerte sich um ihn. Sie setzten sich an den Schachtisch und starteten ihre erste Partie. Michelle hatte sich zu Kathleen an den kleinen Tisch gesellt und lernte von ihr, wie man Joints drehte. Das war das Ende der Welt und Michelle war es jetzt egal.
Kapitel Fünf
Tanz mit dem Teufel
I
Eine bedrückende Ruhe hatte sich über das Haus gelegt, seit Thomas von dem Blitz nieder gestreckt worden war. Und sie währte so lange, bis ein weiterer Joint, den diesmal Michelle drehte, dreimal die Runde gemacht hatte und ausgedrückt wurde.
Dann klingelte es an der Tür.
"Frederic!", rief Kathleen und stürzte aus dem Wohnzimmer. Michelle schaute Gabriel fragend an.
"Sie sind zusammen", erklärte er ihr.
"Seit vier Jahren ein Paar", fügte Laura hinzu.
Michelle nickte und fragte sich, ob sie je wieder eine Beziehung führen würde. Die Tür des Wohnzimmers stand weit auf und sie ging zur Schwelle, um bis zur Haustür sehen zu können. Kathleen hatte sie geöffnet und vor ihr standen drei Personen. Ein Mädchen und zwei Jungs. Das Mädchen hatte blonde, strähnige Haare, ließ ihren Kopf hängen und wurde von ihren Begleitern mit jeweils einer Hand unter den Schultern gestützt. Ihre Kleidung war zerrissen. Sie wirkte abwesend. Die beiden Jungs trugen diverse Markenkleidung – schwarze Regenjacken mit Kapuze, weite Hosen und Turnschuhe. Sie hatten kurze, schwarze Haare und waren womöglich Brüder. Zwillinge, dachte Michelle. Ihre Augen lagen tief in dunklen Höhlen und blinzelten bedrohlich. Ihre Münder waren nur Striche in der faltenlosen Haut. Spitz zulaufende Nasen und abstehende Ohren rundeten den ersten, negativen Eindruck ab.
"Was wollt ihr?", hörte Michelle ihre Mitschülerin fragen. Damit stand fest, dass keiner der beiden Jungs Frederic war. Der rechte der beiden Brüder hob seinen freien Arm auf Brusthöhe und hielt Kathleen eine Pistole vor das Gesicht. Eine Automatik, dachte Michelle, ohne
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