Das Ende der Privatsphäre: Der Weg in die Überwachungsgesellschaft
dem Internet entsteht eine schöne neue Welt in Form einer virtuellen Öffentlichkeit, die sich nicht mehr klar von »echten«, durch persönliche Kontakte geprägten Kommunikationsstrukturen unterscheiden lässt und vielfältige – auch negative – Konsequenzen auf unser reales Leben entfalten kann. Viele Internetdienste vermitteln zwar den Eindruck einer persönlichen »Gesprächsatmosphäre«. In Chatrooms und Newsgroups oder Internetforen können sich – wie auf einer Versammlung – mehr oder weniger interessante Diskussionen entwickeln. Vielen Teilnehmern ist aber nicht klar, dass alles, was sie hier an persönlichen Informationen preisgeben, an Meinungen und Gefühlen äußern, auf Dauer recherchierbar ist. Jugendliche, die eine unbedachte Bemerkung in ein Internetforum stellen, können damit zum Beispiel konfrontiert werden, wenn sie sich Jahre später um eine Stelle bewerben, oder sie werden trotz guter sonstiger Voraussetzungen zum Vorstellungstermin gar nicht erst eingeladen.
Wenn Daten über die Inanspruchnahme des Internets zusammengeführt werden, entstehen Nutzungsprofile. Sie geben darüber Auskunft, ob man sich für eine Sportart, ein Hobby oder für ein bestimmtes politisches Thema besonders interessiert, ob man das Internet lieber morgens, abends oder nachts nutzt, welche Hard- und Software man verwendet, welche elektronisch angebotene Zeitung man bevorzugt und auf welche Themen sich Suchanfragen beziehen. Kombiniert man diese Daten mit Informationen aus anderen Quellen, entstehen noch genauere Persönlichkeits- und Interessenprofile. Es ist besonders problematisch, dass die Informationen von den Betroffenen nicht mehr kontrolliert werden können. Dabei kann dieses elektronische Abbild bisweilen falsch, überholt oder einseitig sein, ohne dass der Betroffene eine wirkungsvolle Möglichkeit zur Korrektur besitzt.
Das Internet bietet eine Plattform für alle möglichen politischen Gruppen, die ihre Botschaften weltweit verbreiten wollen. Deshalb versuchen manche Regierungen, die Inhalte zu zensieren, die Informationsströme zu steuern und zu manipulieren. Zudem sind sie daran interessiert, die Urheber oppositioneller Äußerungen zu identifizieren. So kritisieren Menschenrechtsorganisationen zu Recht, dass der US-Internetdienst Yahoo Kundendaten an die chinesische Polizei herausgegeben hat. Auf diese Weise identifizierte Oppositionelle verschwanden für Jahre hinter Gittern. Auch andere IT-Unternehmen kooperieren mit den Behörden autokratischer Regime, sodass regierungskritische Inhalte in diesen Staaten kaum noch auffindbar sind. So will die chinesische Regierung verhindern, dass chinesische Nutzer unzensierte Informationen über Tibet, Menschenrechte oder Demokratie erhalten.
Auch demokratische Staaten setzen auf die Überwachung des Netzes, um rechtswidrige Inhalte aufzuspüren, etwa Anleitungen zum Bombenbau oder Kinderpornografie. Da das Internet zur Vorbereitung und Begehung von Straftaten verwendet wird, können Polizei und Justiz keinen Bogen um das Netz machen. Bei allen Maßnahmen der Strafverfolgungsbehörden müssen jedoch die Unschuldsvermutung und der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachtet werden. Völlig überzogen wäre es beispielsweise, wenn die Sicherheitsbehörden »rein vorsorglich« auch ganz normales und unverdächtiges Verhalten registrieren und auswerten. Doch genau dies ist zu befürchten, wenn die Anbieter generell die Verkehrsdaten ihrer Nutzer vorsorglich für mindestens ein halbes Jahr speichern müssen (vgl. 3.3).
In letzter Zeit wird unter dem Stichwort »Web 2.0« über neue interaktive Dienste diskutiert, bei denen die Grenze zwischen Anbietern und Nutzern immer weiter verschwimmt. Auch wenn man darüber streiten kann, ob es sich wirklich um eine »neue Qualität« handelt – Interaktivität ist spätestens seit der Erfindung des World Wide Web keine Neuigkeit -, gestatten es neue Dienste selbst technisch unbedarften Nutzern, ihre eigenen Werke (Texte, Bilder, Musikstücke) zu veröffentlichen. Sie bieten ihnen damit die Chance, ihr öffentliches Bild aktiv zu gestalten und an Debatten teilzunehmen, deren Existenz sie früher nicht einmal erahnten. Eine Vielzahl von Internetdiensten ist gerade deshalb so erfolgreich, weil sie die Trennung von »privat« und »öffentlich« aufheben und es jedem Nutzer ermöglichen, Informationen weltweit bereitzustellen.
Sogenannte »Community Services« vernetzen sozial, politisch, religiös oder durch sonstige
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