0352 - Es brodelt in der Unterwelt
Eine Stunde später schwebten wir bereits in der Luft. Ich hatte Phil orientiert. Er kannte den Millionär auch schon seit langer Zeit. Phil wußte sogar, daß das Ehepaar mit uns fliegen wollte.
Auf dem Kennedy-Airport hatten wir die planmäßige Düsenmaschine bestiegen, die über Chicago und Denver nach San Franzisko weiterfliegt. Es handelte sich um eine jener schweren Maschinen, die auf dem Rollfeld so plump und träge dahinschlittertt, daß man sich als Laie immer wieder wundert, wenn sie sich plötzlich mühelos und steil in den Himmel heben.
Unsere Gedanken weilten bei dem Ehepaar Murray, das sich auf der bequemen Polsterbank vorne, direkt hinter dem Cockpit, ausruhte.
Wir hatten noch keine Gelegenheit gefunden, uns mit ihnen zu unterhalten, denn wie üblich, war es uns wegen des dichten Verkehrs erst in letzter Minute geglückt, die Maschine zu erreichen. Mit leicht vorwurfsvollem Blick hatte uns die Stewardeß zu unseren Plätzen geführt, und schon Sekunden später mußten wir uns anschnallen.
Ein Gespräch mit den Murrays wäre ohnehin nicht besonders erfolgversprechend gewesen. Mr. High hatte uns ja schon gesagt, daß der Hotelmillionär außer der Tatsache des Kidnapping nichts wußte. Zudem sah Mrs Murray nicht so aus, als ob wir mit ihr vernünftig über die Entführung der Zwillinge reden könnten.
Mrs. Murray war eine Schönheit, die Aufsehen erregen mußte. Sie hatte volle, ebenmäßige Züge und ausdrucksstarke, mandelförmig geschnittene Augen, die jetzt jedoch von Leid überschattet waren.
Die Kidnapper hatten mit ihrem schrecklichen Verbrechen die ehemalige Tänzerin so aus dem Gleichgewicht gebracht, daß der schönen Frau ihre Erscheinung und ihr Make up völlig gleichgültig waren. Ich konnte das verstehen. Und jede Mutter würde sie auch verstehen können und genauso ihr Äußeres vernachlässigen.
Mr. Arthur Murray, ihr Gatte, hatte sich in der Gewalt. Vielleicht war es nur Maske, aber wir beobachteten, wie er beruhigend und beherrscht auf seine Frau einsprach. Er hatte eine gewichtige, jedoch nicht aufgeschwemmte Figur und strahlte schon von weitem jene Eleganz aus, die langjährige Wohlhabenheit und Sorglosigkeit dem Leben gegenüber verleiht. Nur an dem nervösen Zucken, mit dem er gelegentlich den Kopf in den Nacken warf, erkannten wir, daß er nicht so selbstsicher und ausgeglichen war, wie es sein Gehaben vortäuschte. Vielleicht wollte er seiner Frau nur Trost zusprechen.
Mein Blick glitt von den Murrays weg und fing die bunte Gesellschaft ein, die sich in unserer Maschine zusammengefunden hatte. Da waren einige Herren in gutgeschnittenen Anzügen, aber mit geschmacklosen Krawatten Die erfolgreichen Geschäftsleute erkannte man an den goldenen Manschettenknöpfen. Dazwischen entdeckte ich ältere Ehepaare und würdige Matronen, jedoch auch attraktive Damen jüngeren und mittleren Alters, die Sekretärinnen oder wohlhabende Strohwitwen sein mochten oder auch nur ganz schlicht neugierige Touristinnen.
Da ich während des längeren Fluges doch nichts unternehmen konnte und die Dunkelheit vor dem Kabinenfenster mich einschläferte, schloß ich die Augen.
Ich genoß das Wunder, hier über den Wolken in bequemster Lage und — wenn man der Statistik glauben darf — auch völlig sicher, unserem Ziel entgegenzufliegen.
Da weckten mich ein aufmunternder Stoß von Phil und das Geräusch näherkommender Schritte. Ich blickte hoch und sah die Stewardeß vom Cockpit her auf uns zuschreiten. Sie starrte uns unverwandt in die Augen und hatte das gleiche freundliche Lächeln, mit dem wir Nachzügler an der Rolltreppe schon begrüßt worden waren. Allerdings glaubte ich auch, daß dieses Lächeln etwas verdecken sollte.
Sie beugte sich zu mir herab und sagte halblaut:
»Mr. Cotton, Sie werden am Funkgerät verlangt!«
Ich erhob mich etwas erstaunt und folgte den wiegenden Hüften der Stewardeß. An den abgespannten und schlafenden Passagieren vorbei gelangte ich durch ein kleines Türchen in den Vorraum der Pilotenkanzel. Die Männer der Besatzung hatten ihre Augen nicht bei den Armaturen, die in verwirrender Zahl das Cockpit umkleideten; sie sahen mich mit einem Blick an, den ich mir nicht erklären konnte.
Was konnte überhaupt geschehen sein, daß man mich per Funk aus meinem Dämmerschlaf riß. Ich wandte mich an den Mann, der seitlich an einem winzigen Tisch saß und die Kopfhörer aufgesetzt hatte. Sein Gesicht war schreckensbleich und verzerrt. Er kam meiner Frage zuvor und
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