Das Ende der Privatsphäre: Der Weg in die Überwachungsgesellschaft
von Otto Schily zurückzuführen. Es scheint die Innenminister wenig beeindruckt zu haben, dass es für die verpflichtende Einführung von zwei biometrischen Merkmalen keinerlei parlamentarisches Votum, ja nicht einmal eine Befassung durch die Volksvertretung gegeben hatte. Mit der EU-Passverordnung wurde zudem der vom Bundestag ausdrücklich beschlossene Gesetzesvorbehalt zumindest bezüglich des Passes hinfällig. Kritiker dieses Verfahrens aus den Reihen der Bürgerrechtsorganisationen bezeichneten das sowohl von der US-Regierung als auch von den EU-Innenministern gewählte Verfahren als »policy laundering« (Politikwäsche), eine Umschreibung für ein Vorgehen, bei dem Parlamente und nationale Entscheidungsstrukturen systematisch umgangen werden.
Es ist formalrechtlich nicht zu beanstanden, dass seit Ende 2005 die neu ausgegebenen Reisepässe mit einem RFID-Funkchip (vgl. 2.3) ausgeliefert werden, auf dem biometrische Daten – zunächst die digitalen Passfotos, ab 2008 zusätzlich Fingerabdrücke – der Passinhaber gespeichert sind, da es sich bei der EU-Passverordnung um einen in den Mitgliedsstaaten unmittelbar geltenden Rechtsakt handelt. Nach den Planungen der Bundesregierung sollen die Personalausweise demnächst ebenfalls mit den biometrischen Daten ausgestattet werden, wofür es allerdings keine vergleichbaren internationalen oder europarechtlichen Verpflichtungen gibt.
Wenn man sich ins Bewusstsein ruft, wie lange unter normalen Umständen auch noch so kleine Rechtsänderungen benötigen, bis sie schließlich die Mühle der regierungsinternen und parlamentarischen Beratungen durchlaufen haben, reibt man sich schon die Augen, zu welchen gesetzgeberischen Leistungen innerhalb kürzester Zeit die politisch-administrativen Systeme unter Stress in der Lage waren. Nach dem 11. September 2001 wurden in vielen Staaten der Welt erhebliche Rechtsänderungen innerhalb weniger Wochen durchgesetzt. Es war geradezu unvermeidlich, dass sich bei einem derart kurzen Gesetzgebungsprozess schwerwiegende handwerkliche Fehler einschlichen. Viel schlimmer war jedoch, dass Grundrechtseingriffe beschlossen wurden, die – allein aus Zeitgründen – nicht wirklich auf den Prüfstand der öffentlichen Debatte gestellt werden konnten.
Bei einem derartigen Aktionismus drängte sich die Frage auf, ob es sich dabei überhaupt um geeignete und vor allem um angemessene Reaktionen auf terroristische Herausforderungen handelte. Verschiedene Indizien stützen die These, dass die Aufdeckung der Vorbereitungen für die Anschläge in New York und Washington und die wirksame Verfolgung früherer Terroranschläge nicht in erster Linie an mangelnden Strafnormen und polizeilichen Befugnissen gescheitert sind, sondern an bürokratischen Mängeln und falschen Schwerpunktsetzungen der zuständigen Behörden. Dies bestätigt auch der Bericht, den eine vom US-Kongress eingesetzte Untersuchungskommission im Sommer 2004 vorgelegt hat. Danach habe es vor dem 11. September 2001 eine Reihe von Chancen gegeben, die Anschlagspläne aufzudecken und zu vereiteln. Sie seien jedoch verpasst worden. Bemerkenswert ist dabei, dass bedeutsame Informationen über die Attentäter und ihre Aktivitäten verschiedenen Behörden zwar bekannt waren, deren Relevanz jedoch überwiegend nicht erkannt wurde. Schließlich hätte die Bush-Administration im Sommer 2001 entsprechende Warnungen der Sicherheitsbehörden ignoriert.
Die Befürworter neuer Befugnisse der Sicherheitsbehörden verweigerten sich hartnäckig der Forderung, den Nachweis für die Wirksamkeit der geplanten neuen Maßnahmen anzutreten und dabei zumindest deutlich zu machen, wie sich hierdurch, hätte es sie bereits vor den Anschlägen gegeben, Letztere hätten verhindern lassen. Wer wollte auch ernsthaft behaupten, dass eine Regelanfrage beim Verfassungsschutz im Zusammenhang mit Asylanträgen auch nur einen der Hamburger »Schläfer« an seinem Wirken gehindert hätte? Hätten biometrische Merkmale in den Pässen die Attentäter des 11. September, die ja überwiegend mit echten Papieren reisten, wirklich daran gehindert, ihre Planungen auszuführen? Diese Fragen bleiben bis heute unbeantwortet.
Manchmal führt ein Blick auf bereits geführte Debatten zu wichtigen Erkenntnissen: Vor mehr als zwanzig Jahren war das Projekt »maschinenlesbarer fälschungssicherer Personalausweis« – eine Reaktion auf den Terrorismus der RAF (Rote-Armee-Fraktion) – auf den Weg gebracht worden. Das
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